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Welten - Roman

Titel: Welten - Roman
Autoren: Heyne
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mit der vom Blut glitschigen Hand vom Lenkrad gerutscht ist. Dass er den Gurt nicht angelegt hatte, war auch nicht unbedingt hilfreich.
     
    Im Verlauf der nächsten zwei Monate erhole ich mich allmählich und verlasse die Klinik fast eineinhalb Jahre nach meiner Einweisung.
    Und? Ich akzeptiere die Ereignisse, wie sie sich abgespielt haben, auch meine Rolle darin. Gleichfalls akzeptiere ich, dass es vorbei ist und die vernünftigste Erklärung nach wie vor darin liegt, dass nichts davon wirklich geschehen ist und ich alles nur erfunden habe. Ich war nie ein Mann namens Temudschin Oh.
    Natürlich stellt sich dann die Frage, warum jemand in die Klinik eindrang, den Pfleger fesselte und mich in meinem Bett ersticken wollte. Wie ich die Dinge auch drehe und wende, es bleibt immer mindestens ein ungeklärtes Rätsel übrig. Trotzdem ist diese Betrachtungsweise diejenige, mit der ich zu der umfassendsten Erklärung und zu dem am wenigsten beunruhigenden losen Ende gelange.
    Wie auch immer. Ich habe mich damit abgefunden, von
nun an ein stilles Leben zu führen.Wenn möglich werde ich eine Wohnung und eine ehrliche, schlichte Arbeit am Bau finden und die Träume vom Konzern, von Mrs. Mulverhill, Madame d’Ortolan und von meiner Vergangenheit als Mr. Oh hinter mir lassen. Wir werden sehen.Vielleicht liege ich mit all meinen Vermutungen falsch, auch den vernünftigen.
    Ich glaube, ich muss viel nachdenken.
DER PHILOSOPH
    Mr. Kleist wacht mit Schmerzen auf. Vor allem der Kopf tut ihm weh. Als wäre er betrunken, hätte einen Kater oder beides. Er hat rasenden Durst. Und er kann nicht richtig atmen. Das liegt an dem Klebeband, mit dem sein Mund versiegelt ist. Mit einem Anflug von Panik blickt er sich um. Er befindet sich in einem Keller, an den er sich gut erinnert, obwohl es schon lange her ist. Er ist fest an die Zentralheizung gebunden.
    Eine jugendliche Gestalt mit einer Skimaske aus Wolle kommt vorsichtig mit einem dampfenden Kessel die Treppe herab.
    Mr. Kleist möchte schreien, aber er kann nicht.
MADAME D’ORTOLAN
    Auf dem Weg zur Sonnenfinsternis in Lhasa und in der Gewissheit, nur ihre Zeit zu verschwenden, beobachtet Madame d’Ortolan - ernüchtert und gestrandet nach ihrer
gewaltsamen Umsiedelung - durchs Fenster, wie die zerklüftete braune und grüne Landschaft Tibets vorüberzieht. Sie vermisst Mr. Kleist. Obwohl es nie etwas Sexuelles zwischen ihnen gab, fehlt er ihr.
    Ihr neuer Assistent und Leibwächter sitzt schnarchend auf dem Sitz gegenüber. Er ist sehr athletisch gebaut und durchtrainiert, aber nicht imstande, in dem hübschen Kopf auf dem muskulösen Hals auch nur eine originelle Idee oder Bemerkung zu formulieren.
    Auch Christophe, den Chauffeur aus dem anderen Paris, vermisst sie. Mit ihm ging es ausschließlich um Sex. Tief saugt sie den Sauerstoff aus ihrer Maske ein.
    Noch immer schwelgt sie in Erinnerungen an Christophe, als plötzlich die Tür auffliegt. Bevor sie Augen und Mund aufreißen kann, steht der Mann im Abteil, die Arme angewinkelt, die Hände um eine lange Faustfeuerwaffe geballt.
    Der schlafende Leibwächter wacht nicht einmal mehr auf. Nur sein Schnarchen bricht ab. Sein letzter Gesichtsausdruck ist ein leises Stirnrunzeln. Wie ein grauroter Fächer spritzt sein Gehirn über die breite Schulter und das Fenster, und vom Aufprall seines Schädels ziehen sich Sprünge über die innere Scheibe der Doppelverglasung wie über berstendes Eis.
    Mit entsetztem Kreischen fährt Madame d’Ortolan zurück, als sie von mehreren Tropfen Blut und Gehirn getroffen wird. Der Killer kickt die Tür zu und lässt den Blick durchs Abteil schweifen.
    Madame d’Ortolans Schreie brechen ab. Sie wendet sich ihm zu und hält die Hand hoch. » Warten Sie! Temudschin, wenn Sie das sind - ich verfüge immer noch über bedeutende Mittel, kann Ihnen viel bieten. Ich …«

    Er bleibt stumm. Er hat nur darauf gewartet, dass sie bestätigt, wer sie ist. Das hat sie soeben getan.
    In der letzten Sekunde vor ihrem Tod erkennt Madame d’Ortolan, was geschehen wird. Sie sagt nicht, was ihr auf der Zunge lag, sondern spricht nur sorgfältig ein einziges Wort aus: »Verräter.«
    »Aber nur an dir, Theodora«, murmelt die Killerin zwischen dem ersten und zweiten Kopfschuss.
DER ANBIETER
    Nach einer weiteren erfolglosen Präsentation sitzt Mike Esteros an der Bar des Commodore Hotel in Venice Beach. Streng genommen weiß er noch nichts davon, dass sie erfolglos war, aber inzwischen hat er einen Riecher dafür und
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