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Welch langen Weg die Toten gehen

Welch langen Weg die Toten gehen

Titel: Welch langen Weg die Toten gehen
Autoren: Reginald Hill
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schnell die Ansicht durch, dass sie unkomfortabel und im besten Fall
démodé
, im schlimmsten Fall grob kitschig waren, woraufhin in den Siebzigern Greenhills rapider Niedergang einsetzte. Viele der Herrenhäuser wurden zu Apartmentgebäuden, zu kleinen Hotels oder Büroräumen umgewandelt oder einfach abgerissen, um Platz für Bodenspekulanten zu schaffen.
    Manche Gebiete hielten sich länger als andere oder vermochten durch die schiere Gewichtigkeit ihres Daseins die Illusion aufrechtzuerhalten, dass sich seit den glorreichen Zeiten wenig geändert habe. An erster Stelle war hier die Avenue zu nennen. Falls sie jemals ein Pronomen besessen haben sollte, so hatte sie dieses, da in der Öffentlichkeit als überflüssig erachtet, seit langem verloren. Hier, in Nächten wie dieser, wenn vom bereits verhüllten Umland die Nebel einsickerten und die großen Häuser hinter ihren abschirmenden Bäumen zu schemenhaften Gebilden verwischten, still und ehrfurchtsvoll wie schlafende Dickhäuter, war es möglich, langsam zwischen den Reihen laubbestandener Platanen durch die breite Straße zu fahren und sich vorzustellen, dass man noch immer in den glorreichen Zeiten des Empire lebte.
    Tatsächlich war die langsame Fahrt durch die Avenue in manchen Kreisen der Einwohnerschaft von Mid-Yorkshire noch immer eine beliebte Beschäftigung, allerdings dachte keiner ans Empire, es sei denn metaphorisch. Der Schutz vor den Elementen, den die Bäume lieferten, die Abgeschiedenheit, die viele der dunklen, überwucherten Einfahrten boten, dazu der Mangel an sich beschwerenden Anwohnern machten die Straße zu einem beliebten Aufmarschgebiet für Prostituierte und Freier. In den dunstigen Aureolen der elegant geschwungenen Greenhill-Laternen mochte die Avenue verlassen aussehen. Aber kroch man mit dem Wagen behäbig den Randstein entlang, erschienen, wie die Dryaden auf den Lockruf des großen Gottes Pan, die Damen der Nacht.
    Außer auf dem Wagen prangte groß das Wort POLIZEI , dann hatte es eine gänzlich gegenteilige Wirkung.
    Jennison schaffte es nicht, durchzuhalten, und packte bereits seine Tüte aus, die den durchdringenden Geruch heißen frittierten Fisches und essigsaurer Chips verströmte.
    »Kannst du verdammt noch mal nicht warten, bis ich geparkt habe?«
    »Nein, ich schieb einen riesigen Kohldampf. Reicht doch schon. Halt hier an.«
    »Quatsch. Die Mädels würden mit Ziegeln nach uns werfen, wenn wir ihnen die Freier verjagen. Ich kenn eine Stelle, da wird uns Bonkers nie finden.«
    Er riss den Lenker herum und steuerte den Wagen unter den Platanen zwischen zwei Steinsäulen in eine Kieseinfahrt. Betonstümpfe auf Säulenspitzen ließen erahnen, dass die Säulen einst mit irgendwelchem Zierrat oder heraldischem Schnickschnack gekrönt gewesen waren, aber diese waren schon lange verschwunden, wahrscheinlich zeitgleich mit dem verschnörkelten Eisentor. Dessen massive Scharniere waren an der rechten Säule noch zu erkennen, während auf der linken, so tief in den Stein graviert, dass es trotz des starken Flechtenbewuchses noch lesbar war, der Name MOSCOW HOUSE stand.
    Oberhalb der hohen efeubewachsenen Gartenmauer ragte die Tafel eines Immobilienmaklers auf: ZU VERKAUFEN, SOFORT BEZIEHBAR .
    Maycock fuhr über die gesamte Einfahrt, bis das Haus in Sicht kam. Es lag in völliger Dunkelheit, was zusammen mit den geschlossenen Fensterläden das Versprechen der Tafel bestätigte, dass hier niemand war, der stören oder selbst gestört werden könnte. »Komisch«, sagte er, als er den Wagen anhielt.
    »Was?«
    »Steht dort nicht die Tür offen?«
    »Was für eine Tür?«
    »Die Haustür, was denkst du denn?«
    Die beiden Männer spähten angestrengt durch den Nebel.
    »Ja, doch«, sagte Maycock. »Die steht offen.«
    Jennison beugte sich herüber, klatschte seinem Kollegen die warme Zeitungstüte auf den Schoß und schaltete die Scheinwerfer aus.
    »Kann es nicht sehen«, sagte er. »Und jetzt halt den Mund und iss deinen Schellfisch, bevor er kalt wird.«
    Eine Weile lang kauten sie schweigend. Dann krächzte das Funkgerät ihr Rufzeichen, und eine Stimme, die sie als die von Bonnick erkannten, sagte: »Melden Sie Ihre Position.«
    »Scheiße«, sagte Maycock.
    »Immer ruhig bleiben«, sagte Jennison.
    Er schaltete den Sender ein und sagte: »Wir sind in der Avenue, Sarge. Überprüfen gerade ein nicht gesichertes Grundstück.«
    »Die Avenue? Welche Avenue?«, wollte Bonnick, sichtlich verwirrt, wissen. »Halten Sie sich an die
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