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Welch langen Weg die Toten gehen

Welch langen Weg die Toten gehen

Titel: Welch langen Weg die Toten gehen
Autoren: Reginald Hill
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zurechtgelegt, um dem sich unmissverständlich ankündigenden Überfall zuvorzukommen, und obwohl die Umarmung zum Abschied manchmal mit heftigem Gereibe und Gedränge ablief, hatte sie es bislang immer geschafft, mit heiler Haut davonzukommen. Wenn sie sich das nächste Mal trafen, schien Cress, dann wieder nüchtern, alles ebenso vergessen zu haben, wie sie, wenn betrunken, keinerlei Erinnerung mehr daran hatte, dass Ellie ihr einmal in aller Deutlichkeit anvertraut hatte, dass Neugier und die Entschlossenheit, nicht unterdrückt oder naiv erscheinen zu wollen, sie einst an der Uni ins Bett einer Dozentin gelotst hatten, eine Erfahrung, die ihr allerdings überhaupt nichts gebracht habe und die zu wiederholen sie nicht die geringste Neigung verspüre.
    Normalerweise nahm sie für den Heimweg ein Taxi, doch nachdem ihr Ehemann, Detective Chief Inspector Peter Pascoe, verkündet hatte, dass sie einen Babysitter bräuchten, weil vernachlässigter Papierkram ihn bis spät in die Nacht an den Schreibtisch fesseln würde, hatte sie erklärt, was sie für den Babysitter ausgäben, könnten sie durchs Taxi wieder einsparen. Darauf hatte sie mit ihm verabredet, dass er sie so gegen halb elf abholen solle, dem üblichen Zeitpunkt, an dem es gefährlich wurde. Nun war der Zeitplan hinüber, und Ellie fühlte sich nicht nur nervös, sondern auch hintergangen. Sie mochte Cress sehr, sie hatten vieles gemeinsam und verstanden sich in Fragen des Geschmacks ganz generell, hinreichend in denen der Politik und vollkommen in denen des Humors, so dass ihre gemeinsamen Abende, bevor die Hormone die Oberhand gewannen, ein großes Vergnügen waren, das in dieser Nacht allem Anschein nach jedoch arg verkürzt wurde.
    Die Angriffe ereigneten sich immer dann, wenn Cressida sich im Interregnum zwischen zwei Männern befand, was relativ häufig der Fall war. Die Intensität ihrer Beziehungen war stärker, als die meisten Männer lange zu ertragen gewillt waren. Der Weg von dem Gefühl, angebetet und verhätschelt zu werden, zu dem Eindruck, abgeschrieben, ausgesperrt und abserviert zu werden, dauerte nie lange, manchmal war es nur eine Frage von wenigen Tagen. Im Nachspiel der Trennung wandte sich Cressida dann Trost suchend an ihre Freundinnen. Männer seien nur für eines gut, und das würde überschätzt. Leidenschaft sei für Pubertierende. Das einzig Wahre sei die weibliche Freundschaft. Diese einfühlsamen Lebensansichten beherrschten ihren Verstand, bis die dritte Flasche geöffnet und die Begegnung reifer weiblicher Seelen plötzlich zugunsten der handfesten Vereinigung reifer weiblicher Körper fallen gelassen wurde.
    Die letzte Trennung schien noch traumatischer verlaufen zu sein als sonst.
    »Ich hab den Typen richtig gemocht«, jammerte sie. »Er hatte alles. Und ich meine wirklich alles. Inklusive eines Maserati. Hast du’s schon mal in einem Maserati getrieben, Ellie?«
    Ellie spitzte die Lippen, als ging sie in Gedanken eine Checkliste von Spitzenautos durch, dann gab sie zu, dass sie dies verpasst habe.
    »Mach dir nichts draus«, sagte ihre Freundin tröstend. »Die Fahrerposition ist fabelhaft, die Vögelposition absolut grausam. Aber es ist doch nicht zu glauben, dass jemand, der so ein Auto fährt, sich als ein Typ herausstellt, der fünf Kinder hat und einer Religion anhängt, die seiner Frau schon den Gedanken an eine Scheidung verbietet.«
    Ihre Augen funkelten gefährlich.
    »Ich hätte ja nur mal kurz mit seiner Frau plaudern müssen, dann hätte sie vielleicht die Religion gewechselt.«
    »Cress, das wirst du nicht tun.«
    »Natürlich werde ich das nicht tun. Außer man provoziert mich. Und warum zum Teufel verschwende ich die kostbare Zeit mit meiner besten Freundin, indem ich über diesen sonnenverbrannten Arsch von Medizinmann rede?«
    Sie zog heftig am Korkenzieher und schaffte es, den Pfropfen aus der Flasche zu zerren, allerdings auf Kosten der unteren Korkenhälfte, die weiterhin im Flaschenhals steckte.
    Na, das sollte die Sache ein wenig verzögern, dachte sich Ellie und sprach im Stillen ein Dankgebet an wen auch immer, der dazu mit ziemlicher Sicherheit noch nicht einmal da war.
    Als sollte sie wegen dieser Einschränkung ihrer Gläubigkeit zurechtgewiesen werden, klingelte das Telefon.
    »Scheiße«, sagte Cressida. »Schau du doch, was du mit diesem Mistding anfangen kannst.«
    Sobald sie aus dem Zimmer war, zog Ellie ihr Handy heraus und wählte die Kurzwahlnummer ihres Mannes. Er meldete sich fast
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