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Welch langen Weg die Toten gehen

Welch langen Weg die Toten gehen

Titel: Welch langen Weg die Toten gehen
Autoren: Reginald Hill
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der zerbrochenen Kiste lag, fehlte ihm das Kantige der verpackten Maschinen. Es sah eher wie eine Art Kokon aus.
    Er legte die Taschenlampe ab, und mit beiden Händen und unter Aufbietung seines geringen Körpergewichts schaffte er es, den Zylinder zur Seite zu rollen, der daraufhin auf den Boden krachte und so viel Staub aufwirbelte, dass er husten musste.
    Als er sich davon erholt hatte, nahm er wieder die Taschenlampe, richtete den schwächer werdenden Strahl auf die Kiste und betete, er möge einen Schatz entdecken, den er voller Stolz seiner Familie bringen konnte.
    Der Lichtstrahl wurde von zwei starren Augen zurückgeworfen.
    Entsetzt schrie er auf und ließ die Taschenlampe fallen. Sie verlosch.
    Das hätte das Ende von Khalid sein können. Allah aber ist gnädig und großmütig und gewährte zwei seiner Wunder zugleich.
    Das erste war, dass Khalid – nachdem sein Schrei verstummt war (weil es ihm an Luft mangelte, nicht an Entsetzen) – eine Stimme hörte, die seinen Namen rief.
    »Khalid, wo zum Teufel steckst du? Komm schon! Stimmt was nicht?«
    Es war sein Lieblingsbruder Ahmed.
    Das zweite Wunder war, dass im Lagerraum ein anderes Licht anging und jenes der kaputten Taschenlampe ersetzte. Das Licht war rot und blinkte in regelmäßigen Abständen. Im leuchtenden Geflimmer sah er erneut auf den vakuumverpackten Kokon.
    Es lag eine Frau darin. Sie war jung und schwarz und schön. Und natürlich war sie tot.
    Erneut rief sein Bruder nach ihm, er klang wütend und ängstlich zugleich.
    »Alles in Ordnung!«, rief er ungeduldig zurück. Seine Angst schwand, was an Ahmeds Nähe lag und natürlich auch am Licht.
    Das … woher stammte?
    Er sah es sich genauer an, und seine Angst kehrte verstärkt zurück.
    Das Licht kam von der Spitze des Metallzylinders, den er so nachlässig auf den Boden hatte fallen lassen. Auf dem Metall waren westliche Schriftzeichen angebracht, die für ihn keinen Sinn ergaben. Nur eines erkannte er: das Emblem des großen Shaitan, des erbittertsten Feindes seines Volkes.
    Nun wusste er, was durch das Dach gebrochen, aber nicht explodiert war.
    Das noch nicht explodiert war.
    Er lief zu dem Spalt, durch den er gekommen war und der sich noch mehr verengt zu haben schien – oder seine Angst hatte ihn dicker gemacht –, und einen Augenblick lang glaubte er, er stecke fest. Er hatte einen Arm durchgeschoben und versuchte verzweifelt, an der zerborstenen Außenwand festen Halt zu finden. Dann wurde seine Hand gepackt und er selbst schmerzhaft durch den Spalt und in Ahmeds Arme gezogen.
    Sein Bruder wollte ihn bereits zurechtweisen. Doch dann sah er Khalids Blick, und er musste nicht mehr lange überzeugt werden, als dieser rief: »Lauf!«
    Sie rannten zusammen weg, die beiden Brüder, spannten jede Sehne wie zwei Champions, die auf der letzten Runde eines olympischen Rennens gegeneinander antraten, nur dass in diesem Wettbewerb der eine seine stützende Hand ausstreckte, wenn der andere zu stolpern drohte.
    Ihr Ziel war der Euphrat, dessen gesegnete Wasser für Fruchtbarkeit sorgten und ihren Vorfahren jahrhundertelang ein Auskommen gewährt hatten.
    Zeit bedeutete ihnen nichts, Entfernung alles.
    Nur ihr keuchender Atem war zu hören und das Geräusch der hüfthohen Binsen, die ihre Arme und Beine streiften.
    Ihr Blick war nach vorn gerichtet, hin zur Sicherheit, zu ihrer Zukunft, weshalb sie nicht sahen, wie sich hinter ihnen die Ruinen in die Lüfte erhoben und nun vollständig zerstört wurden.
    Und sofort wussten sie, dass sie hier gegen schnellere Gegner antraten.
    Zuerst überholte sie der Schall, der wie ein dumpfer Donner an ihnen vorüberzog.
    Und dann erfasste die Druckwelle ihre Fersen, dann ihre Schultern, ergriff sie und schleuderte sie voran, während die Welle selbst triumphierend vorüberraste.
    Hinab krachten sie, hinab platschten sie. Sie waren am Fluss. Sie spürten, wie seine gesegnete Kühle über ihnen zusammenschlug, und überließen sich der trägen Strömung. Dann tauchten sie zusammen auf, keuchten und spuckten und sahen sich an, der Bruder betrachtete den Bruder, suchte beim jeweils anderen nach Verletzungen.
    »Alles in Ordnung, Kleiner?«, sagte Ahmed nach einer Weile.
    »Ja. Und du?«
    »Alles in Ordnung. He, für eine Erdkröte läufst du ziemlich gut.«
    »Und du auch, für einen Frosch.«
    Sie zogen sich ans Ufer, setzten sich und sahen zurück zur Wolke aus Staub und Schutt, die in der Luft hing.
    »Also, was hast du dort drinnen gefunden?«, fragte
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