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Welch langen Weg die Toten gehen

Welch langen Weg die Toten gehen

Titel: Welch langen Weg die Toten gehen
Autoren: Reginald Hill
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sagte Kay, löste das Seidentuch, mit dem sie ihr kurzes schwarzes Haar vor dem Nebel geschützt hatte, und schüttelte es sacht. »Er lässt Grüße ausrichten.«
    »Ebenfalls. Deine Bluse gefällt mir«, sagte Helen neidisch. »Ich wollte, ich könnte mich noch trauen, meine Oberarme zu zeigen.«
    Tatsächlich stand ihr die Schwangerschaft gut. Wenn auch etwas in die Breite gegangen, so war sie doch mit der rosigen Fleischlichkeit einer Badenden von Renoir gesegnet. Im Glanz dieser Aura wären viele Frauen zur Unscheinbarkeit verdammt gewesen, nicht so Kay Kafka, trotz ihres blassen Gesichts und ihrer bleistiftdürren Figur.
    Sie gingen ins Wohnzimmer. Als Kay zum ersten Mal diesen lichtdurchfluteten Raum betreten hatte, dessen riesiges Panoramafenster den Blick auf den langen Garten freigab, hatte sie exakt gewusst, wie sie ihn einrichten und ausstatten würde. Mittlerweile musste sie sich trotz ihrer vielen Besuche zusammenreißen, um keinen Anfall zu bekommen, wenn sie die schweren Möbel sah, den zugeschnittenen rosafarbenen Teppich, die goldgerahmten Canaletto-Reproduktionen und die gestreiften Regency-Vorhänge, die, zugezogen, wenigstens die Yorkstone-Terrasse verbargen, die zu einem solarbetriebenen Springbrunnen aus rotgeädertem Marmor führte, mit dem die Dunns die Hälfte ihrer ehemaligen Rasenfläche ersetzt hatten. Das Einzige, was ihre Zustimmung fand, war das Steinway-Klavier, das in einer Ecke stand und das, wenn es nach Jason ging, wahrscheinlich durch ein elektronisches Keyboard in Glitzersilber ausgetauscht werden würde. Seltsam, dachte sie sich, wie Menschen, die so schön waren, so jeglicher Sinn für das Schöne abgehen konnte.
    Tony hatte sie, nachdem sie ihm alles erzählt hatte, gefragt: »Also, sie hat das richtige Haus gekauft, wie kommt es dann, dass sie das falsche Zeug reinstellt, wenn du ihr über die Schulter schaust?«
    »Weil ich ihr nicht über die Schulter geschaut habe, auch nicht, als sie mich darum gebeten hat«, sagte Kay. »Es ist nicht mein Haus.«
    »Komm schon. Sie verehrt dich, du bist für sie so was wie die Mutter, die sie nie hatte.«
    »Aber ich bin nicht ihre Mutter und will ihr keinen Anlass geben, mich für eine solche zu halten. Im Nachhinein betrachtet glaube ich, dass sie das Haus im Grunde nur deshalb ausgesucht hat, weil sie wusste, dass es mir gefallen würde. Und es gefällt mir ja auch. Die Inneneinrichtung ist was anderes. Sie müssen schließlich da drin wohnen.«
    »Du bist zu gutmütig, Liebes«, sagte Tony lächelnd. Er war ein Mann voller Widersprüche, und dazu gehörte auch seine Fähigkeit, liebevoll und zynisch zugleich sein zu können.
    Nun setzte sie sich vorsichtig auf die Kante des langen Sofas. Es waren wunderbare Möbel zum Hineinlümmeln. Vor ihrer Schwangerschaft hatte sich Helen in den großen Sesseln zusammengerollt und die Beine untergeschlagen, und Kay musste sich eingestehen, dass die Einrichtung hervorragend zu ihr passte. Sie selbst zog es vor, die Kontrolle zu behalten, selbst in Helens Gesellschaft, weshalb sie sich von den weichen Kissen und den nachgebenden Polstern immer ein wenig überrumpelt fühlte. Tony hatte es als tolles Vögel-Sofa bezeichnet, und seitdem sah sie immer, wenn sie darauf saß, Jason und Helen vor sich, die sich, intim ineinander verschlungen, in seinen Tiefen wälzten.
    Für Helen waren die Zeiten, in denen sie sich darauf zusammenrollen – und wahrscheinlich auch intim darauf wälzen – konnte, mittlerweile längst vorbei. Sie hatte einen der hohen, breiten Armstühle aus dem Speisezimmer geholt, aber auch der wurde allmählich zu schmal.
    »Hoffe, du hast nichts dagegen … ich hab Pizza bestellt … Kochen geht kaum noch, ohne mir oder dem Aga-Herd ernsthaften Schaden zuzufügen … tut mir leid.«
    Früher hatte Kay noch versucht, Helens atemlose Sprechweise, die ohne Punkt und Komma auskam, zu verbessern. Schließlich aber hatte sie einsehen müssen, dass dies nur zu Spannungen zwischen ihnen führte. Das Gleiche traf auf den Geschmack des Mädchens bezüglich der Inneneinrichtung zu. So war sie eben, und einem geschenkten Gaul schaute man nicht ins Maul, vor allem dann nicht, wenn Gott der Schenker war.
    »Pizza ist wunderbar«, sagte sie mit einem Lächeln. »Aber Jase achtet hoffentlich darauf, dass du etwas abwechslungsreicheres Essen bekommst.«
    »Mach dir keine Sorgen … ich halt mich an den Diätplan vom Krankenhaus … mehr oder weniger … heute Abend gönn ich mir mal was …
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