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Weil du mich fesselst

Weil du mich fesselst

Titel: Weil du mich fesselst
Autoren: Beth Kery
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versteifte sich bei einer Brise, die ihr eine entwischte Haarsträhne gegen die Wange drückte.
    »Kommt, lasst uns ins Warme gehen«, drängelte Anne.
    »Willkommen in Belford«, sagte James, als er sie durch die mächtigen Eichentüren nach drinnen führte. Peter kam mit dem Gepäck nach. Wieder vernahm sie diesen stolzen Ton, der in James’ Stimme noch ausgeprägter war als bei Peter. Warum auch sollte James auf das Haus seiner Vorfahren nicht stolz sein, überlegte sich Francesca und bestaunte mit offenem Mund die Eingangshalle: die reich vertäfelten Eichenpaneelen an den Wänden, die große, mit immergrünen Girlanden geschmückte Treppe, die großartigen Gemälde der Ahnen, den sechs Meter hohen Weihnachtsbaum und die beeindruckende, bunte Glaskuppel an der Decke.
    Hier also ist Ian aufgewachsen?
    Irgendwie passte in ihrem Kopf die Vorstellung eines lebhaften, tollpatschigen Zehnjährigen nicht zu dieser Erhabenheit, fiel ihr benommen auf, als ihre Schuhe über das präzise Muster der Marmorfliesen schritten. Doch im Grunde war Ian ja nie ein sorgloses Kind gewesen. Insofern passte diese Umgebung doch perfekt zu seiner kühlen Unabhängigkeit, seinem vollkommenen Vertrauen in jede Entscheidung, die er getroffen hatte.
    Mitten in der Halle hielt sie inne und drehte sich einmal um die eigene Achse. Sie versuchte, alles dies in sich aufzunehmen. Dann fiel ihr Blick auf James’ funkelnde, dunkle Augen.
    »Was denkst du?«, wollte er lächelnd wissen.
    »Ich bin natürlich überwältigt. Es ist herrlich. Ich fühle mich wie eine unbeholfene Amerikanerin«, flüsterte sie.
    »Dabei wollen wir doch nur«, erwiderte Anne und ergriff ihre Hand mit einem bedeutungsvollen Blick, »dass du dich wie zu Hause fühlst.«
    Anne führte sie zu dem für sie vorbereiteten Zimmer im zweiten Stock. Während sich die beiden über die Planungen für die nächsten Tage unterhielten, klopfte eine Frau höflich und wollte wissen, ob sie den Koffer auspacken solle. Francesca zeigte sich zunächst von dieser Frage irritiert. Die Frau war jung und hübsch – in den Zwanzigern, etwa so alt wie Francesca. Auch trug sie nicht diese stereotype Kleidung eines Dienstmädchens, vielmehr hatte sie ein schickes, dunkelblaues Kleid an mit einem Gürtel um die Hüfte, dazu einen geschmackvollen Seidenschal und modische flache Schuhe. Sie wirkte wie eine leitende Angestellte, nicht wie ein Dienstmädchen.
    »Warum kommst du dafür nicht wieder, wenn Francesca in der Dusche ist, Clarisse?«, schlug Anne freundlich vor.
    »Selbstverständlich, Mylady«, sagte Clarisse und ließ die beiden allein.
    Nachdem Francesca geduscht hatte und wieder in ihr Zimmer kam, traf sie dort auf Clarisse, die den ausgepackten Koffer soeben in den riesigen, begehbaren Wandschrank stellte.
    »Ich habe Ihnen ein Glas Mineralwasser mit Zitrone bereitgestellt. Ihre Ladyschaft hat uns informiert, dass dies Ihr Lieblingsgetränk sei. Ich habe dieses Kleid für Sie aufgehängt, damit Sie es heute Abend bei dem Weihnachtsdinner tragen können. Ich dachte, es wäre womöglich das, das sie dafür vorgesehen hatten. Ansonsten lassen Sie es mich bitte wissen«, sagte Clarisse höflich und wies auf das dunkelrote, schulterfreie Kleid, das auf einem Bügel direkt vor dem Kleiderschrank hing. Francesca musste schlucken. Das war das hübscheste Kleid, das sie eingepackt hatte. Sie hatte es eigentlich für den Ball eingepackt und nicht für das Weihnachtsessen.
    »Ich … ja, natürlich. Das war sehr freundlich von Ihnen«, sagte sie zögernd und wollte sich dabei ihre Unkenntnis nicht anmerken lassen.
    »Gern geschehen«, antwortete Clarisse strahlend. »Wird Ihr Kleid für den Ball noch geliefert? Ich frage nur, denn dann könnte ich nach dem Paket Ausschau halten und es für Sie lüften und vorbereiten.«
    »Ähm, das ist alles noch nicht ganz entschieden. Ich sage Ihnen dann Bescheid«, erklärte sie errötend. O nein. Das Geburtstagsfest würde vermutlich wohl doch deutlich formeller, als sie erwartet hatte … oder sie es aus Erfahrung hätte wissen können. Und der »ruhige Heiligabend und die Weihnachtsfeier nur mit der Familie« würden es wohl auch, so schwante es Francesca nun immer deutlicher.
    Dies war ihr so unangenehm, dass sie vor einer Fremden ihre Unwissenheit nicht zugeben wollte. Sie musste einfach Anne an diesem Abend ihre Unerfahrenheit und fehlende Vorbereitung gestehen. Vielleicht gab es in der Nähe ja die Gelegenheit, noch ein angemessenes Kleid zu kaufen?
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