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Weihnachtsengel küsst man nicht

Weihnachtsengel küsst man nicht

Titel: Weihnachtsengel küsst man nicht
Autoren: S Andresky
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das ganze Haus. Da brachte man es, und Rudis Großeltern waren persönlich dabei,
runter an den See, wo früher einfach eine Talsenke war, weil es dort den wenigsten Schaden anrichten konnte. Und in kürzester Zeit weinte es einen großen See, der prompt gefror, sodass das ganze Dorf darauf Schlittschuh laufen konnte. »Kannst sie dir ansehen. Die alten Schlittschuhe hab ich noch in der Diele hängen.« Lina und er saßen auf ein paar Heuballen, kraulten die Alpakas, die am zutraulichsten waren, und krausten abwechselnd ihre rot gefrorenen Nasen. »Und als das Mädchen sah, wie lustig das Schlittschuhlaufen war, da hörte es endlich auf zu weinen.« Lina sah Rudi das erste Mal richtig an. Und sie sah, dass er graue Augen hatte und einen Haarwuschel, der fast so sehr vom Kopf abstand wie ihr eigener. Und seine Hände im Fell des Alpakas sah sie auch, geschmeidige schmale Finger. Und Lina wurde trotz der Kälte ganz warm.

16
DEZEMBER

    Rudis Geschichten kamen Lina vor wie ein Adventskalender, bei dem man ein Türchen nach dem nächsten öffnet und immer etwas Wunderliches und Schönes darin findet. Sie hatte es Annette ja immer gesagt: Das Beste an Weihnachten waren die Geschichten, die man sich darüber erzählen konnte.
    Als alle Fohlen versorgt waren, kämpften sie sich zurück ins Haupthaus. Lina überlegte, wie es jetzt weitergehen würde, als ihr Handy wieder klingelte. Manchmal glaubte sie, diese Dinger hätten ein Eigenleben, einen gehässigen Charakter und stünden direkt mit dem Kosmos in Verbindung: Wenn man dringend darauf wartete, ließen sie keine Anrufer durch, aber wenn man seine Ruhe haben wollte und
nur vergessen hatte, es auszuschalten, klingelte es in einem fort wie ein Schreibaby, das man füttern, wickeln und herumtragen musste und das nicht eher aufhörte zu quäken, bis man völlig auf dem Zahnfleisch ging. Rudi grinste und prophezeite: »Bestimmt Annette.«
    Es war nicht Annette. Es war ein fremder Mann, der sich wortreich vorstellte. Lina brauchte eine Weile, bis sie wusste, wer dran war, und stammelte: »Oh, Sie sind das Kontaktanzeigen-Date.« Rudi drehte sich um und verschwand im Keller, um sich die Heizung anzusehen. Der Mann am Telefon wusste, was er wollte. Keine Spielchen. Er berichtete kurz und präzise über seinen Job in gehobener Stellung und sein respektables Gehalt, erwähnte seine schwierige Scheidung, weil er gleich mit offenen Karten spielen wollte, machte die richtigen Scherze zum richtigen Zeitpunkt, sodass Lina immer wieder laut lachen musste, und schlug ihr schließlich ein Abendessen im angesagtesten Restaurant der Stadt vor. Lina hatte sich dort nie hingetraut, weil das kein Lokal war, wo sie alleine sitzen wollte, und Annette nicht auf diese »Schicki-Locations« stand. Sie
dachte an die Kritiken in der Gourmetzeitung, daran, dass ihr das Schicksal noch einmal eine Chance gab, denn das Date hatte sie nicht in ihrem peinlichen Kostüm gesehen und wollte sie treffen, obwohl sie ihn das erste Mal versetzt hatte. Und er musste wirklich überzeugend sein, wenn er es geschafft hatte, aus Annette ihre Telefonnummer herauszubekommen. Der Mann klang sehr, sehr nett. Genau das, was sie immer gesucht hatte. Und Lina sah in einer Art Vision ein großes Geschenk vom Schicksal vor sich, in dem sich dieses vielversprechende Date befand. Sie streckte das Kinn, nahm die Schultern zurück, hörte Rudi im Keller fluchen, bedankte sich für den netten Anruf und sagte: »Klar, treffen wir uns mal.« Rudi, der gerade die Treppen heraufgestapft war, wischte sich mit der rußigen Hand übers grimmige Gesicht, bis er aussah wie ein Indianer mit Kriegsbemalung.

17
DEZEMBER

    »Er hatte einen viehischen Mundgeruch«, maulte Rudi, »wie eine Mischung aus Hundefutter und Bahnhofsecke, echt schlimm.« Lina zog eine Augenbraue hoch und regte an, demnächst doch bitte ihr die Entscheidung zu überlassen, wen sie treffen wollte und wen nicht. Schließlich sei sie kein Babylama. Rudi nickte kleinlaut. Beide setzten sich wieder an den Küchentisch. Das Schweigen stand zwischen ihnen wie Gelatine.
    Lina versuchte als Erste durchzudringen: »Wie ist das denn hier auf dem Land mit der Liebe?« Sie gab sich Mühe, bei der Frage so dreist und unbefangen auszusehen, wie es nur ging. Rudi gab sich Mühe, so locker und unbefangen auszusehen, wie es nur ging, und sagte:
»Die einen sind Kunden bei deiner Freundin Annette, und die anderen halten sich Tiere. Die herzen wir dann an langen Winterabenden.« Er
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