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Weihnachtsengel küsst man nicht

Weihnachtsengel küsst man nicht

Titel: Weihnachtsengel küsst man nicht
Autoren: S Andresky
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war eine Weile her, dass jemand sie so direkt angebaggert hatte, und es gefiel ihr, der ganze Mann gefiel ihr, aber sie musste immer wieder an Lina denken, die da draußen vielleicht irgendwo herumirrte, vielleicht mit jemandem, den sie gar nicht kannte. Sie seufzte. Meister wickelte sich einen dicken Schal, der neben der Tür gehangen hatte, um den Hals. »Mach dir keine Sorgen, bald wissen wir, wer hier das Schneewittchen gegeben und in den Schnee geblutet hat.« »Hoffentlich nicht Lina«, dachte Annette.

21
DEZEMBER

    »Es waren zwar nur ein paar Tropfen, aber ein bisschen Mitleid könntest du schon haben«, keuchte Lina und wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Wenn man so einen Protzstrauß an sich reißt, muss man wissen, dass der Dornen hat«, warf Rudi zurück, holte noch weiter aus und marschierte weiter. Lina versuchte Schritt zu halten, was bei dem hohen Schnee schwierig war. »Ich hab ihn nicht an mich gerissen«, schrie sie gegen den Wind an, der hier draußen auf dem Feld besonders schneidend war. »Ich habe ihn entgegengenommen, das macht man mit Geschenken so, und wenn dein Vielfraßtier ihn nicht weggemampft hätte, hätte ich nicht versucht, ihn ihm aus dem Maul zu reißen, und dann hätte ich nicht deinen Hof vollgetropft.
Eigentlich ist es deine Schuld.« Rudi hielt an und griff nach ihrer Hand. »Zeig mal her.« Es waren nur ein paar Kratzer, aber Lina freute sich, dass er endlich stehen blieb, nachdem sie zwanzig Minuten hinter ihm her gehechelt war. Sie jammerte ein bisschen, damit er sich weiter kümmerte. Rudi sah sie streng an, und Lina hörte auf zu jammern. »Triffst du dich mit ihm?« Rudi sah an ihrem Ohr vorbei dorthin zurück, wo irgendwo der Hof liegen musste. Lina stöhnte. »Nein, das hab ich doch alles schon gesagt. Er ist attraktiv, mein Gott. Und vielleicht wäre das endlich mal ein Mann gewesen, bei dem meine Mutter nicht mitleidig geguckt hätte, als hätte ich ein verlaustes Tier auf einer Autobahnraststätte losgebunden, wenn ich ihn zu Hause vorführe. Aber nein, ich treffe mich nicht mit ihm.«
    Rudi packte sie an beiden Armen, als wollte er sie schütteln: »Und wieso nicht, wenn er so toll ist?« »Weil ich lieber mit dir in der Pampa einen Rekord im Schneejoggen aufstelle, als mit ihm Schnecken essen zu gehen.« »Und wieso?« Lina lachte. »Ich mag keine Schnecken.« Rudis Augenbrauen lagen immer noch wie zwei tiefgefrorene
dicke Raupen direkt über seinen Augen, dann grinste er auch. »Hör mal«, sagte er wieder ernster. »Ich verlange keine Entscheidung von dir. Du weißt von mir nicht viel mehr, als dass ich komische Haustiere vermiete, am Ende der Welt wohne und einen etwas exzentrischen Umgang habe. Aber eine Chance will ich. Nur das. Lass mich doch zumindest mal eine Weile zu Wort kommen, bevor du dich wieder nach Schnöseln mit Mundgeruch umsiehst.« Lina nickte. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und küsste ihn mit ganz spitzen Lippen kurz auf den Mund. Das fühlte sich an wie ein schmelzender Eiskristall. »Okay«, sagte sie.

22
DEZEMBER

    Als Linas Mund unter seinem Kuss weicher wurde, dachte Rudi nicht mehr so sehr an einen schmelzenden Kristall, sondern an Vanilleeis, wenn es gerade kurz davor ist, flüssig zu werden, sahniges, süßes Vanilleeis mit einem Hauch Zimt. Lina umfasste ihn in seiner aufgeplusterten Windjacke und schmiegte sich an ihn. Seine Haare, die ihr ins Gesicht wehten, rochen ganz leicht nach Heu und nach Plätzchen auch, nach einem bestimmten Gewürz, Koriander oder Anis. Lina atmete diesen Geruch tief ein und stellte sich vor, wie es wäre, gleich hier zu einer Art Eisstatue zu verschmelzen. Bei Tauwetter bliebe dann nur noch eine große Pfütze von ihnen übrig, die ganz leicht nach Weihnachten und Geheimnissen duften
würde. Rudis Hände streichelten über den dicken Stoff ihres Mantels und strichen ihr die Haare aus dem Gesicht. Als sie sich voneinander lösen konnten, waren beide etwas atemlos, und Lina hatte das Gefühl, am Boden festgefroren zu sein. Aber innerlich war ihr richtig warm, sie legte die Hände auf die Wangen, die glühten wie in der Rotbäckchen-Reklame. Rudi lächelte, und seine grauen Augen schienen ihr einen Stich blauer als vorher. »Und wenn es schiefgeht?«, seufzte er. »Ein Weihnachtswunder? So was geht nicht schief«, bestimmte Lina. Dann hatte sie eine Idee: »Wir können uns ja einen Engel machen, damit uns nichts passiert, das wär doch prima.« Sie legte sich vorsichtig in den Schnee, und
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