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Weihnachtsengel küsst man nicht

Weihnachtsengel küsst man nicht

Titel: Weihnachtsengel küsst man nicht
Autoren: S Andresky
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eigene Agentur war. Lina hatte sich einen Anwärter mit Carpendalefrisur und Maßanzug ausgesucht und ihn zum Engel-Shooting an die Krippe bestellt. Daraus würde jetzt aber nichts werden, denn die Kameras und Scheinwerfer waren abgebaut, Rudi
hatte das Rentier schon verladen, und Lina sah wirklich nicht besonders engelig aus, wie sie da mit verwuschelten Haaren und silbernem Make-up vor der Fleischtheke stand. Rudi hatte »das Ren im Kasten«, wie er es nannte, griff sich eine heruntergefallene Salami, biss ab und fragte »Is noch was?« Und da fiel Lina etwas ein. Sie erklärte ihm die Situation und bat ihn kurzerhand, noch etwas zu warten, weil ihr Date jeden Moment aufkreuzen musste. »Sagen Sie ihm doch bitte, dass ich noch zu einem anderen Fototermin musste. Er soll Ihnen seine Telefonnummer geben, und ich melde mich dann bei ihm.« Rudi nickte, gab ihr die Nummer des Rentierhofes und war neugierig, wie wohl jemand aussah, den eine Frau wie Lina sich aussuchte. Das Ren draußen röhrte ungeduldig.

3
DEZEMBER

    von: [email protected]
    an: [email protected]
     
     
    Weißt du, das einzig Wahre an Weihnachten sind die Geschichten, die man sich, wenn es dunkel wird, am Kaminfeuer erzählt. Ansonsten hasse ich es. Das ist auch der Grund, warum ich eben so kurz angebunden war. Dabei kümmerst du dich immer um mich und bist überhaupt die Beste. Und deshalb bekommst du jetzt vorm Schlafengehen auch noch eine Mail von mir. Liebe Nette! Weihnachten macht mich wütend. Überall glückliche Familien, und das Einzige, das zu mir gehört, sind meine körpereigenen Haustiere: jedes Jahr ein paar Krähenfüße im Gesicht und ein Pfund Schweinespeck auf den Hüften mehr. Ich kann nur hoffen, dass
dieser Rudi meinem Date wirklich Bescheid gesagt hat. Das wär doch zu schön, wenn es wirklich mal ein Treffer würde. Wenn ich mir das letzte Jahr so ansehe, war es männertechnisch wirklich mau. Weißt du noch, wie ich als Primavera in dem durchsichtigen Fähnchen und geschmückt wie ein Pfingstochse auf der Blumenmesse in Amsterdam gearbeitet und anschließend in der Aufmachung zum Flughafen musste? »Darf ich mal an Ihren Primeln riechen?« , war da noch die netteste Anmache. Einer hat mir auf die Brustwarzen getippt und gesäuselt: »Oh, da knospt es aber!« Da verlier ich echt den Glauben an die Menschheit. Oder neulich dieser Student, der an der Supermarktkasse hinter mir stand und plötzlich ohne Vorwarnung sagte »Dieses Toastbrot gibt es auch in Vollkorn.« Mehr als ein »?« fiel mir dazu nicht ein, und bis ich bezahlt hatte, kannte ich sein halbes Leben, seine WG-Mitbewohner und deren Duschgewohnheiten und hatte alles über seine Ernährungsticks erfahren. Oder bei dieser Managerkonferenz, als ich von der Agentur ins falsche Hotel geschickt wurde und im Truthahnkostüm in eine Konferenz mit lauter
Japanern platzte und rief »Truthahnbrüste, oh, wie fein, müssen stets von Truti sein!« Dann kam mein Taxi nicht, und ich saß noch immer als Big Bibo im Foyer, als die Konferenz zu Ende war. Fast alle Japaner haben sich bei mir entschuldigt, weil es so peinlich für mich war. Einer wollte mich zu einem McChicken einladen, und ein anderer erkundigte sich nach dem Preis meiner Hühnerbrüstchen. Ach, Nette, und jetzt im Advent laufe ich als Zimtstern durch die Fußgängerzone oder überbringe im roten Plüschbikini mit Nikolausmütze singende Telegramme in Yuppiebüros. Oder ich sitze hier rum und ertränke meinen Frust in Glühwein. Und wenn ich all die Pralinenberge auf meinem Schreibtisch sehe, weiß ich wieder, dass Gott ein Mann ist. Denn sonst wären doch wohl alle Kalorien in Sellerie, oder? Schlaf gut, und drück mir die Daumen, dass dieses Date mein Weihnachtsgeschenk ist. Ich verlange ja gar nicht, dass George Clooney bei mir klingelt. Einfach ein richtiger Mann, der neben Haaren auf der Brust auch ein paar auf den Zähnen hat!
     
    Deine Lina.«

4
DEZEMBER

    von: [email protected]
    an: [email protected]
     
     
    Angelina Drossel, Stopp mit dieser furchtbaren Weihnachtsdepression! Das kann ich ja kaum mit ansehen. Noch so eine Trübsinnsmail, und ich pack deine Adresse in den Spam-Filter! So schlecht geht es dir nun auch wieder nicht. Du siehst knackig aus, das weißt du selbst, und sonst würdest du auch nicht so oft gebucht. Dass männertechnisch im Augenblick kein Komet vorbeifliegt, ist eben nicht zu ändern. Kosmische Wellen vielleicht. Oder vielleicht siehst du dich mal unter
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