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Aus dem Berliner Journal

Aus dem Berliner Journal

Titel: Aus dem Berliner Journal
Autoren: Max Frisch
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12 9.2.
     
    Das Bewusstsein, dass ich noch drei oder vier Jahre habe, brauchbare Jahre; aber es wird kein Alltagsbewusstsein, daher immer wieder Erschrecken. Vorallem beim Erwachen. Darüber ist mit niemand zu sprechen.
     
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    Warten auf Handwerker, ich kann nicht einmal lesen, gehe in der leeren Wohnung auf und ab, Hall der Schritte; Musik aus dem Transistor, dazwischen Sprache der DDR. Ich bin froh.
     
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    Gestern mit Uwe und Elisabeth Johnson in einem italienischen Restaurant hier in Friedenau. Es stimmt nicht, dass im Alter keine neue Freundschaft mehr entstehe.
     
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    Einer der vermeintlichen Gründe, warum ich nicht (oder nie lange) in Zürich wohne: weil dort zuviele mich kennen auf der Strasse, in einer Wirtschaft. Kaum eingetroffen in Berlin (Hotel Steinplatz) spricht ein Leser mich an, Beton-Ingenieur, der eben das frühe Tagebuch gelesen hat, alles übrige schon kannte; am andern Tag in der Bank für Handel und Industrie warte ich auf eine Telex-Antwort, aber zuvor kommt ein Herr, entschuldigt sich, dass man mich nicht sofort erkannt habe; kein Telex nötig. Danach ein junger Schlosser; als ich ihm den Namen anzugeben habe, fragt er: Sind Sie denn der Schriftsteller? Zum Lesen komme er ja nicht, sagt er, vielleicht später einmal. Dasselbe in einem Lampengeschäft, wobei [ich] immer den 13 Namen umgekehrt angebe: Frisch, Max; erst als er das notiert hat, stutzt er: Der Verfasser von Gantenbein? Und in einem Antiquitäten-Laden setzt sich der Mann, ruft seine Frau, um ihr zu sagen: Das ist Max Frisch. Woher er den Namen denn kenne? Hören Sie mal, sagt er, wir lesen Sie. Der Mann kann sich kaum erholen, bedankt sich für meine leibhaftige Gegenwart in seinem überfüllten Laden. Ein Tapezierer fragt: Kommt wieder ein Stück von Ihnen? Als ich nochmals in den Lampen-Laden gehen muss, weil eine der Lampen nicht zu montieren ist, und nach hinten in die Werkstatt trete, um dem Techniker etwas anzugeben, sagt der Verkäufer: Der hat mehr von Ihnen gelesen als ich. Es freut mich zu sehen, wohin die Bücher gehen.
     
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    Ein Maurer, der wie Barlog spricht , will den Küchenschrank versetzen in der Mittagspause, Nebenverdienst, hat vor drei Tagen angefangen, kommt aber nie ganz dazu, muss sich einen Bohrer ausleihen; dann wieder sehe ich ihn unten mit einer Karre, seine Mittagspause ist vorbei. Er gibt ein heimliches Zeichen, dass er komme, sobald es nur geht. Keine grosse Sache, eine halbe Stunde. Aber morgen, sagt er im Vorbeigehen, morgen schaffe er’s bestimmt. Sechs Schrauben mit Dübeln. Der elektrische Bohrer, Eigentum der Firma, wird heute anderswo gebraucht. Sein Zeichen mit der Hand: dass er sein Wort schon halten werde. Inzwischen nennt er mich: Herr Doktor. Heute, plötzlich, dröhnt der elektrische Bohrer in der Küche. Ein weiteres Loch, das dritte, bevor er gerufen wird; der Boss ist im Haus. Oder die Firma braucht die Wasserwaage, ebenfalls Eigentum der Firma. Sind Sie morgen auch hier, Herr Doktor? Später bohrt es wieder, 14 aber im gleichen Augenblick sehe ich ihn unten mit der Karre voller Backsteine; er rennt mit der Karre. Der Malergeselle bohrt für ihn; er kommt nicht dazu. Als ich in die Küche gehe, ist wieder niemand da; es fehlt noch immer das letzte Loch. Er kommt nicht dazu. Er ist immer so gehetzt, Woyzeck als Maurer .
     
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    […]

15 10.2.
     
    Erste Einkäufe auf dem Wochenmarkt , der in Zukunft unser Markt sein soll, Breslauer Platz, eingeführt durch Günter Grass; Fischkunde.
     
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    75. Geburtstag von Brecht.
     
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    […]

16 11.2.
     
    Sonntag, Einzug in die Wohnung. Morgen soll es auch warmes Wasser geben.

17 12.2.
     
    Uwe Johnson bringt ein kleines gerahmtes Bild, verpackt, zum Einstand in der neuen Wohnung. Was mag es sein? Am 5.10.1972, als ich den Kaufvertrag unterzeichnet hatte, überreichte er mir eine Mappe, enthaltend: Plan von Friedenau, eine lexikalische Notiz über Sarrazin, dessen Name diese Strasse trägt , eine kurze Historie über Friedenau, ein Formular für Postcheck-Konto, ein Formular für Telefon-Anmeldung. Ob ich die Wohnung, kaum eine Viertelstunde lang besichtigt, denn im Gedächtnis habe, fragte er und nötigte mich, jetzt den Grundriss auf ein Blatt zu zeichnen. Das geschenkte Bild heute: meine Grundrissskizze von damals, gerahmt, Zeichnung mit Filzstift, auf den ersten Blick wie eine inspirierte Handschrift, die ich nicht sofort erkenne; Fehler betreffend Vorraum und WC.
     
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