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Weihnachtsengel küsst man nicht

Weihnachtsengel küsst man nicht

Titel: Weihnachtsengel küsst man nicht
Autoren: S Andresky
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den Josephs dieser Welt um, statt auf drei Könige zu warten, die dir Myrrhe und Weihrauch vorbeitragen. Ich bin immerhin auch Single und hab mich mit meinem Kater
ganz gut eingerichtet. Kater sind gut gegen Einsamkeit! Hyperion lässt keine Socken herumliegen, und die Sportschau will er auch nicht sehen. Außerdem ist er kastriert, was ganz entscheidende Vorteile bringt. Aber zurück zu dir. Es ist doch jedes Jahr dasselbe. Im Sommer bist du begeistert solo, aber wehe, es stapeln sich die ersten Lebkuchen in den Läden. Prompt wirst du trübselig und lässt deine miese Laune an armen Rentieren aus. (Glaub mir, ich habe schon Typen geküsst, die unappetitlicher aussahen und küssten als dieses Katla-Vieh!) Du liebst doch Geschichten. Also lass dir eine aus meiner Agentur erzählen, eine Kamingeschichte, die aber wirklich wahr ist. Ich hatte mal einen Kunden, der war Artist. Er hatte eine Nummer, in der er sich als Adler verkleidet von Trapez zu Trapez schwang. Die einzige Frau, die ich für ihn begeistern konnte, war eine polnische Gänserupferin, die aber zugegebenermaßen einen Bart am Kinn und Tränensäcke in Form von Teebeuteln hatte. Jedenfalls graute dem Trapezartisten beim first contact so dermaßen, dass er sie sofort loswerden wollte. Also versuchte er ihr Angst einzujagen und führte ihr seine Nummer
vor, die wirklich ziemlich spooky war. Als Finale flog er einen Salto, bei dem plötzlich das Licht ausging. Die Gänserupferin erschrak sich, beschloss, dass sie nicht jeden Abend Angst um einen im Dunkeln herumflatternden Mann haben wollte und reiste sofort ab. Als das Licht aber wieder anging, war der Artist weg. Im Dach des Zirkuszelt war ein Loch, durch das es in die Manege schneite. Der kleine Zirkus ging ohne seinen Star pleite und musste in Fußgängerzonen betteln. Und von dem Artisten hat man nie wieder was gesehen. Ich schwöre, so war das. Willst du das? Da muss es doch andere Wege geben als einfach wegzufliegen, weil einem die Auswahl nicht passt. Aber so weit muss es bei dir gar nicht kommen, denn ich hab da so eine Idee... Du wirst staunen!
     
    Deine nette Annette.

5
DEZEMBER

    Lina kam sich vor wie in einer Schneekugel. Draußen segelten dicke weiße Flocken herum, es war ganz still in der Wohnung, und sie stand in ihren bunt geringelten Skisocken und ihrem Nachthemd mit dem großen »Bad Girl« auf dem Busen vor dem Telefon. Sie hatte schon eine Weile den Hörer in der Hand und überlegte, warum sie ein ungutes Gefühl hatte. »Es gibt ja nur zwei Möglichkeiten«, murmelte sie, »entweder dieser Rentiertyp hat meinem Date Bescheid gesagt oder nicht.« »Oder«, flüsterte eine gehässige Stimme in ihrem Kopf, »dein Date ist gar nicht gekommen. Oder er war da und hat einen IQ wie Fossibär, oder er stand die ganze Zeit dabei und hat gesehen, wie du da in diesem peinlichen Freakkostüm unter baumelnden
Salamis rumstandst und das seifernde Rentier knutschen solltest und hat sich aus dem Staub gemacht.« Aber Lina war noch nie einem Risiko aus dem Weg gegangen, also wählte sie die Nummer auf ihrem Zettel und wartete. »Rentierfarm, Vermietungs- und Hochzeitsservice, Filmausstattung und equide Tiere aller Art. Von Rentier, Yak und Bison bis zum Alpaka oder Esel der Heiligen Familie alles da, hier ist Rudolf Bärchinger, guten Tag, was kann ich für Sie tun?« »Warum zitieren Sie nicht gleich das ganze Weihnachtsevangelium, wenn Sie den Hörer abnehmen?«, maulte Lina. Rudi lachte: »Sie sind es, Lina, Ihren Charme hab ich doch gleich erkannt.« Lina hatte keine Lust, sich mit ihm zu kabbeln, und fragte: »Sind Sie noch dageblieben? Ist jemand für mich gekommen?« Rudi zögerte. »Na ja«, sagte er schleppend. Linas Laune sank noch ein Stückchen tiefer. »Doch, es war jemand da«, sagte Rudi da ganz schnell, »und er hat mir etwas für Sie mitgegeben.« Dabei verschluckte er sich fast. »Eine Telefonnummer?« Lina angelte nach einem Stift und hielt ihren Arm hoch, um die Nummer zu notieren. »Nein, ein Geschenk!« Rudis Stimme
wackelte wieder wie ein großer Pudding. »Ein großes Geschenk. Fast einen Meter hoch. Holen Sie es ab?« Und weil Lina nicht reagierte, sagte er noch schnell: »Es macht komische Geräusche. Sie müssen es abholen.« Lina seufzte. Komische Geräusche in einem Riesengeschenk. Was verschenkt dieses Date denn? Einen lebenden Truthahn? Auf der anderen Seite: Eine Fahrt durch die verschneite Landschaft und ein Geschenk würden sie vielleicht endlich in Weihnachtsstimmung
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