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Das Geheimnis der Tarotspielerin: Zweiter Band der Tarot-Trilogie (German Edition)

Das Geheimnis der Tarotspielerin: Zweiter Band der Tarot-Trilogie (German Edition)

Titel: Das Geheimnis der Tarotspielerin: Zweiter Band der Tarot-Trilogie (German Edition)
Autoren: Marisa Brand
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1.
    K ÖLN, AM 8. J ANUAR 1536
    Der Frost wich Wind und nieselndem Regen. Die Räder des Reisewagens gruben sich durch zähen, kalten Schlamm. Letzte Eisstücke spritzten auf.
    » Rápido! Macht voran!« Mit Rufen und Pfiffen trieb Goswin die Zugpferde an. Seit Stunden kam sein Fuhrwerk nur unwesentlich schneller voran als die Wanderkrämer, Bettler und Pilger, die der Wind wie welke Blätter auf Köln zutrieb.
    Die Kaltblüter stemmten sich ins Geschirr, aufgeschreckt von Goswins Pfiffen und den scharfen Böen. Sie waren Vorboten eines gewaltigen Sturms, doch der Kutscher war zuversichtlich, es noch vor Toresschluss in die Domstadt zu schaffen. Hier auf der Aachener Straße, wenige Meilen vor Kölns Mauerring, hoffte er auf Reste des römischen Steinwegs, der die beiden Reichsstädte seit über tausend Jahren verband.
    Goswin freute sich auf die Kamine im prachtvollen Hause van Berck. Bei einer Kurierstation hinter Sindorf hatte er einen Boten gefunden und auf einem Reitpferd vorausgeschickt, um dem Hausherrn ihr Kommen anzukündigen. Claas van Berck, Kölns reichster Waffenhändler, würde sich nicht lumpen lassen und prasselnde Feuer für den Gast entzünden, den Goswin ihm ins Haus brachte. Und da er selbst einen Brustpanzer mit dem Wappen des Grafen von Löwenstein trug, in dessen Diensten er stand, sollte auch für ihn ein warmes Plätzchen abfallen. Während ihm Sprühregen ins Gesicht nadelte, träumte er von heißem Burgunder, gewürzt mit Zimt und Paradieskörnern. Bestimmt gäbe es keinen sauren Hund aus kölnischen Weingärten, den man mit Färberkraut gerötet und giftigem Bleizucker gesüßt hatte, sodass einem der Schädel sauste wie ein Glockenstuhl oder der Zecher für immer die Engel singen hörte.
    Hatte er alles schon erlebt. In seiner Zeit als Kölner Stadtsoldat. Die Krone aller deutschen Städte und das Jerusalem des Nordens beherbergte neben unzähligen Heiligenreliquien, fetten Prälaten und Kaufherren jede Menge Leutebetrüger und Lumpenpack.
    Der stämmige Mann erhob sich vom Sitzbrett. In der Ferne sah er die trutzige Hahnentorburg und den Turm von St. Aposteln. Ein Lächeln vertiefte die Falten seines wettergegerbten Gesichts. Acht Jahre hatte Goswin seine Vaterstadt nicht gesehen.
    »Bon dia, Colonia« , murmelte er und grinste. So vertraut ihm die spanische Zunge in den letzten Jahren geworden war, so sehr sehnte er sich nach dem singenden Dialekt seiner Heimat. Er schob ein vergnügtes »Loss jon« in Richtung der Pferdehintern nach.
    Selbst die Umfriedung des Leprosenhospitals Melaten, wie die Maladen in rheinischer Mundart hießen, begrüßte er heiter. Eine hohe Mauer trennte das Gehöft der Aussätzigen von der Welt der Gesunden. Hier lebten die von der Gliederfäulnis Gezeichneten. Aus der Gemeinde ausgesegnet, als seien sie bereits verstorben. Gegen Zahlung einer Pfründe und verpflichtet zum nimmermüden Gebet: fünf Ave Maria und fünf Vaterunser für jede Mahlzeit, egal wie mager sie ausfiel. Sie hielten regelmäßige Andachten und strenges Zölibat, während der Aussatz ihre Körper zerfraß.
    Melaten war ein Ort des qualvollen Sterbens. Auf die eine oder andere Weise. Schräg gegenüber vom Spital lag der Richtplatz Rabenstein. Goswin schnalzte ungeduldig mit der Zunge. Nichts wie weg! Doch der Wagen kam mit dumpfem Knirschen zum Stehen, mit schmatzendem Geräusch steckten die Vorderräder im Morast fest, das Fuhrwerk sank ab.
    »Vermaledeiter Mist!«
    Hinter Goswin wurde die Wagenplane zurückgeschlagen. Sein hübscher Fahrgast, ein biegsames Mädchen von achtzehn Jahren, raffte den kostbaren Pelzmantel und kletterte auf das Sitzbrett. Der Wind fuhr stürmisch unter ihre Damaströcke und wirbelte ihr schwarzes Haar in die Lüfte, sodass es ihr schmales Gesicht wie ein Krähenschwarm umflatterte.
    Hexenkind, durchfuhr es Goswin. Jesus Maria, wie kam er darauf? Musste an Melaten liegen. Er bekreuzigte sich verstohlen: »Besser, Ihr bleibt drin. Wind und Regen nehmen zu, und das nicht zu knapp.« Er deutete mit einer Kopfbewegung auf die zinngraue Wolkenwand, die sich hinter ihnen auftürmte.
    »Warum hast du dann angehalten?«
    »Die Vorderräder stecken fest.«
    Goswin übergab Lunetta die Zügel, sprang vom Kutschbock und kämpfte sich gegen den Wind zum Heck des Reisewagens. Er holte tief Luft und stemmte sich mit dem Rücken gegen die durchnässte Holzblende. Einmal, zweimal. Schweißperlen mischten sich auf seinem Gesicht mit Regentropfen. Die Pferde tänzelten auf
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