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Weihnachtsengel küsst man nicht

Weihnachtsengel küsst man nicht

Titel: Weihnachtsengel küsst man nicht
Autoren: S Andresky
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Rudi, der etwas von »obszönen Freiluftorgien« frotzelte, legte sich auf sie, damit es ein gemeinsamer Schneeengel würde. »Ein Schneeerzengel«, erklärte Lina, »mit fünf e’s insgesamt, denn je mehr e’s, desto mehr Schutz.« Rudi lachte und ruderte mit Armen und Beinen. Lina tat es ihm gleich, aber die Vorstellung, wie sie da verpackt wie Eskimos übereinander auf dem Boden lagen, keuchten und sich ab und zu unfreiwillig verknoteten,
war so komisch, dass beide immer wieder lachen mussten. Rudi stand vorsichtig auf, um die Umrisse nicht zu verwischen, und half Lina auf. Beide sprangen aus der Engelform und bewunderten den Abdruck. Mittlerweile hatte es angefangen, dunkel zu werden. Sie umarmten sich, und Lina hauchte: »Am liebsten würde ich einfach mit dir wegfliegen, so wie die Frau aus deinem Dorf, die sich in den Mann im Mond verliebte und zu Licht geworden ist.« Über ihnen löste sich ein heller Punkt und flog ihnen entgegen, eine Sternschnuppe. Lina und Rudi fassten sich bei den kalten Händen, schlossen die Augen, rieben die rot gefrorenen Nasen aneinander und wünschten sich beide dasselbe.

23
DEZEMBER

    Meister kam sich vor wie ein Polarforscher. Obwohl es anstrengend war, durch das hügelige Gelände zu stapfen, der Schnee ihm eisig ins Gesicht stach und er sich Sorgen um seinen Freund machte, summte er vor sich hin. Er dachte an die Frau, die da auf dem Hof saß und auf ihn wartete. Sie kam ihm genauso ungeduldig vor, wie er selbst es war, und er hoffte sehr, dass sie die Nacht wirklich bei ihm verbringen würde. Aufgefallen war sie ihm gleich, ihre kräftigen langen Beine, ihr kurzes glänzendes rotes Haar, das hatte er gleich gemocht, aber sie war so, er suchte nach einem Wort, so sophisticated, dass er immer geglaubt hatte, er hätte sowieso keine Chance. Und dann war alles ganz einfach gewesen. Sie hatte ihn gefragt: »Kannst
du dir vorstellen, mit Baileys zu baden?« Und er hatte geantwortet: »Wenn das Zeugs warm genug ist.« Und da waren sie sich irgendwie einig gewesen. Er hätte jetzt gern mit ihr am Kamin gesessen, diesen kleinen dicken Kater gekrault und sie mit Dominosteinen gefüttert, aus denen er vorher die Geleeschicht gepult hatte, denn so viel wusste er von Frauen: Sie können Kisten von Dominosteinen essen, aber kaum eine mag diese blöde Geleeschicht. Die Spur machte eine Biegung, und beunruhigt sah er, dass das Schneetreiben immer dichter wurde. »Ich bin doch nicht Fräulein Smilla«, murmelte er und hoffte, dass er kein besonderes Talent brauchen würde, um die beiden zu finden.
    Dann, ganz plötzlich, brach die Spur ab. Meister stolperte fast über den letzten Fußabdruck. Er drehte sich um sich selbst, schaltete die Taschenlampe ein, weil es langsam dunkel wurde, und sah sich um. Er stand auf freiem Feld, etwa eine halbe Stunde vom Hof entfernt. Irgendwo röhrte eines der Rentiere. Und diese doppelte Spur hörte einfach auf. Er kratzte sich unter Rudis Schal am Hals. Dann entdeckte er ein Stückchen neben der Spur einen Abdruck
im Schnee. »Schneeengel«, stöhnte er, »wie die Kinder.« Fast hätte er die Taschenlampe fallen lassen, als er die Schreie über sich hörte. Er riss den Lichtkegel nach oben und sah gerade noch zwei große weiße Vögel aus dem Licht fliegen. Graugänse vielleicht oder Wildenten. »Komisch«, dachte er, »diese Vögel, mitten im Winter und im Dunkeln.« Er stand noch eine Weile im Schneegestöber und sah zu, wie der Engelabdruck sich langsam füllte und bald nicht mehr zu sehen war. Er atmete tief durch, um einen klaren Kopf zu bekommen, und schnupperte. Es roch nach Zimt. Meister war klar, dass man ihm bald eine Möhre in den Mund schieben und Kohlen auf die Augen legen konnte, wenn er weiter hier herumstand. Er sah noch einmal zum Himmel hinauf, wo er die weißen Flügel gesehen hatte, und stapfte dann zurück zum Hof.

24
DEZEMBER

    Annette seufzte, hob Hyperion von ihrem Schreibtisch und setzte ihn auf den Boden. Rötlich geringelte Katzenhaare blieben auf ihren Unterlagen zurück. »Nimm dein Fell mit, wenn du gehst«, sagte sie.
    Dann wandte sie sich wieder ihrem Kunden zu, der einen großen grünen Cordhut zwischen den Fingern knetete. Ihre Stimme klang jetzt sehr pädagogisch. »Sie sind doch erst zwei Monate Kunde hier. Ein bisschen Geduld müssen Sie schon haben. Und es liegt sicher nicht an Ihrem Job. Kammerjäger ist doch ein ehrbarer Beruf. Sehen Sie mal: Ich bin doch selbst vor einigen Wochen als Kakerlake auf Ihrer Tagung
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