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Weihnachtsengel küsst man nicht

Weihnachtsengel küsst man nicht

Titel: Weihnachtsengel küsst man nicht
Autoren: S Andresky
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geworden, dass der Weg zum Herzen einer Frau weniger über die Hobelbank als über ihre Katze führt, also hatte er einen Traum von einem Kratzbaum gezimmert, mit Schlaftonne und drei Ruheebenen, Seilen zum Angeln und herabhängenden Kugeln. Und es hatte gewirkt, Annette hatte ihn zum ersten Mal wirklich wahrgenommen und nicht nur einen Problemfall aus ihrer Kartei in ihm gesehen. Der Kratzbaum stand zwar unbeachtet in der Ecke, denn Hyperion war kein sportlicher Kater, aber Annette hatte einem
Abendessen bei Kerzenlicht zugestimmt und rote Flecken im Gesicht bekommen, als sie sich nach dem Duzungspunsch auf die Wangen geküsst hatten. Jetzt ging sie hektisch im Zimmer auf und ab, bis Hyperion sich belästigt fühlte von so viel Action und fauchte. »War das denn wirklich ein Fehler, dass ich diesen Typen zu ihr rausgeschickt habe? Ich fand, der war genau richtig für sie. Du kannst ihren Aufnahmebogen lesen, genau so einen wollte sie haben.« »Aber Rudi mag sie«, sagte Meister, und Annette nickte. »Aber mag Lina ihn auch?« Meister grinste. »Viel interessanter finde ich: Mag Rudi den Typ? Wenn nämlich nicht, gibt’s vielleicht Ärger. Am Ende hetzt er noch ein Rentier auf ihn.« Er lachte leise und meckernd. Annette starrte ihn an: »Meinst du?«
    Annette war keine von der zögerlichen Sorte. Getreu ihrem Motto: »Ich bin jetzt über dreißig, da kann es jeden Tag vorbei sein.« Nahm sie ihre Handschuhe und zog sich den schweren Mantel über. »Ich schwöre hiermit feierlich: Ich werde mich ab morgen früh nie wieder in das Liebesleben meiner besten Freundin einmischen. Und sollte sie noch einmal so ein
peinliches, aber höchst lukratives Angebot bekommen wie neulich, als sie den singenden Flamingo beim Jahrestreffen der Ornithologen machen sollte, werde ich es für sie tun, jawohl, ich werde mit Frühstückseiern behangen vor riesigen Hühnerhintern posieren, wenn’s sein muss, ich werde mich nackt in eine dänische Flagge wickeln, wenn wieder Poelser-Wochen im Einkaufszentrum sein sollten, und ich werde als Fliegenpilz verkleidet bei der Vergiftungszentrale stepptanzen.« Meister grinste: »Der Teil mit der Flagge gefiel mir gut!« Annette raffte ihren knöchellangen Rock gerade so hoch, dass er eine Wade zu sehen bekam, und hauchte: »Damit du weißt, worauf du dich freuen kannst. Später. Wir fahren jetzt zum Hof. Wenn es wirklich Ärger gegeben hat, wird Lina froh sein, wenn ich sie abhole. Und wenn nicht, umso besser. Auf geht’s!«

20
DEZEMBER

    Fährten lesen war nicht gerade Annettes Stärke. Und auch Meister hatte Schwierigkeiten, sich anhand der Fußspuren im Hof zusammenzureimen, was hier passiert war. Vier Füße kamen aus dem Haupthaus. Ein Fußpaar begannen bei einem groben Autoreifenprofil. Eines ging zum Stall. In der Mitte des Hofes liefen alle durcheinander, auch Hufabdrücke waren dabei, ein paar grüne Blättchen lagen im Schnee. Annette bemerkte es zuerst. Sie schrie kurz auf, winkte Meister aufgeregt zu sich heran und zeigte auf den Boden. Im Schnee sah man dunkelrote Tropfen. Blut. Ein bisschen zwar nur, aber genug, um sich vorzustellen, dass es hier Ärger gegeben hatte.
    Meister überlegte: »Zwei sind vom Hof gelaufen,
Richtung Bahnstation, da über die Felder, siehst du? Da ist man in einer guten Stunde, wenn man zackig durchmarschiert. Also, vielleicht hat der Typ Rudi eine gesemmelt und ist mit Lina zur Bahn, um zurück zur Stadt zu fahren.« »Oder«, meinte Annette, »der Typ hat jetzt einen Zahn weniger, und Lina ist weggelaufen, weil sie das Ganze kindisch fand, und Rudi ist ihr hinterhergelaufen.«
    Beide waren inzwischen so oft im Hof hin und her gelaufen, dass sich alle Fährten vermischt hatten und sie nur noch raten konnten, ob hier jemand ihre Hilfe brauchte oder nicht. Meister kramte einen Schlüssel fürs Haupthaus hervor. Er rief nach Rudi, aber der ließ sich nicht blicken. »Mensch, Alter«, murmelte Meister, »mach doch keinen Mist, überlass das lieber deinen sabbernden Lamas. Doch nicht wegen ner Weihnachtspute.« Es hatte wieder zu schneien begonnen. »Wenn das weiter so runterkommt, sieht man die Spuren bald gar nicht mehr«, brummte Meister und setzte Annette an den Küchentisch, auf dem noch zwei große Tassen mit Kakaoresten standen. »Bleib hier, falls jemand anruft oder zurückkommt, ja? Bei
dem Wetter kannst du eh nicht nach Hause. Also übernachtest du nachher am besten bei mir.« Er grinste anzüglich. Annette versuchte die Situation zu genießen, es
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