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Weg da das ist mein Fettnapfchen

Weg da das ist mein Fettnapfchen

Titel: Weg da das ist mein Fettnapfchen
Autoren: Notaro Laurie
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Familienmitglieder ohne Vorwarnung mit seinen Liebesbekundungen zu überhäufen. Das Ganze ging so weit, dass mein Mann, der glaubte, er habe seiner Pflicht mit einem flüchtigen Kuss zum Abschied Genüge getan, unversehens Opfer des Dopplers, gefolgt von einem herzhaften Schmatzer mitten auf den Mund, wurde.
    Alle sahen es. Und alle wandten beschämt die Blicke ab.
    Die Stille im Wagen auf dem Heimweg war erdrückend.
    »Es tut mir leid«, sagte ich schließlich leise. »Ich dachte, ich hätte dir erzählt, dass er eine Neuerung eingeführt hat und jetzt zwei Küsse anstelle von nur einem austeilt. Ich dachte, du wüsstest es. Er macht es schon eine ganze Weile bei Greg so.«
    »Ich habe keine Ahnung, wovon du sprichst«, sagte mein Mann steif.
    Und seit diesem Tag hat niemand mehr diesen Vorfall mit einer Silbe erwähnt.
    Nach der Fünf-Sekunden-Umarmung hörte ich damit auf. Ehrlich gesagt bin ich nicht unglücklich, dass das Ganze nicht so recht eingeschlagen hat. Wir sind nun mal eine Familie, in der nicht geleckt wird. Uns geht es gut damit. Wir sind glückliche Menschen. Ist doch egal, wenn wir einem Gefühl keinen Ausdruck verleihen können, ohne uns seltsam und schmutzig dabei vorzukommen oder uns dafür zu schämen. Ich kann auch sehr gut ohne all das leben. Ich weiß, dass Brandie ein sehr reinlicher Mensch ist, aber meine Schwester konnte schließlich nicht wissen, wo die alte Serbin ihre Hände schon überall hatte. Wer weiß, wie viele schmutzige Körper sie in den Stunden zuvor mit Massageöl eingerieben hatte?
    Und wo liegt das Problem, wenn ich eine Mutter habe, die nicht geleckt hat? Na und? Wer weiß, was sonst aus mir geworden wäre. Vielleicht wäre ich ja heute diejenige, die mit Öl an den Händen die Schenkel wildfremder Leute traktiert.
    Der Bericht über die Ratten hat mich in meiner Vermutung bestätigt – ich würde ein langweiliges, geordnetes und ausbalanciertes Leben führen, hätte einen langweiligen, geordneten und ausbalancierten Job und könnte nichts von all den Dingen erleben, die mir tagtäglich widerfahren, ich würde zu denjenigen gehören, die in den Genuss des Leckens gekommen sind. Meiner Ansicht nach sind die leckenden Mütter stinklangweilige Mütter, die nie auf die Idee kämen, ihren pubertierenden Enkeln die Achselhöhlen zu rasieren und ihre Töchter mit Warnmails zu bombardieren, dass es geradezu eine Einladung an jeden Vergewaltiger ist, wenn man als Frau mit einem Pferdeschwanz herumläuft. Diese langweiligen Kinder würden niemals Hausverbot auf dem Postamt kriegen, weil sie sich mit der Postbeamtin wegen eines Vorrats an Briefmarken angelegt hatten. Sie würden niemals von der Gästeliste der Nachbarin gestrichen werden, weil sie beim Weihnachtsliedersingen nur so getan hatten, als würden sie mitmachen, und sie würden auch niemals in der Umkleidekabine einer schicken Boutique in den Ärmeln einer Bluse stecken bleiben, weil ihre Arme von all den Süßigkeiten zu fett waren (nein, nicht weil sie so viel Kraft hatten).
    Ich wette, bei unseren Familientreffen geht es viel lustiger zu, wenn wir uns erst einmal darauf geeinigt haben, wer der Sündenbock des Tages ist. Bei uns gibt es mehr Gesprächsstoff als die Tatsache, dass wir heute wieder einmal besonders schön brav und ruhig waren. Ich bin heilfroh, dass bei unseren Familienfeiern keiner das Essen mit den Worten »Heute bin ich beim Labyrinth total weit gekommen« eröffnet; ganz zu schweigen davon, dass ich darauf stehe, zum Geburtstag und zu Weihnachten Gutscheine und unpersönliche Karten anstelle einer Mitgliedschaft im Handarbeitsklub oder ein Buch mit Sudoku-Rätseln zu bekommen.
    Ich weiß, ich hätte mich völlig anders entwickelt und wäre nie diejenige geworden, die ich heute bin, ebenso wenig wie meine Schwestern. Man stelle sich nur vor, wenn ich meiner Mutter erzählen würde, dass ich mir gerade eine Portion Retin-A gegen Falten ins Gesicht geschmiert hätte, das seit vier Jahren abgelaufen war und das ich über die mexikanische Grenze geschmuggelt hatte, als ich noch in Arizona lebte, und sie sich dann über den Tisch beugen, mich eindringlich mustern und mir sagen würde, wie toll meine Haut doch aussehe, statt mich anzupflaumen, dass ich davon ganz bestimmt Gesichtskrebs kriege! Echt, dann bliebe mir nichts anderes übrig, als in Tränen auszubrechen und zu rufen: »Wieso bist du nur so langweilig? Großer Gott, hör endlich auf, mich zu lecken.«
    Ich mag meine Familie so, wie sie ist, und
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