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Weg da das ist mein Fettnapfchen

Weg da das ist mein Fettnapfchen

Titel: Weg da das ist mein Fettnapfchen
Autoren: Notaro Laurie
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Schaufenster gestanden, aber die Boutique war nie geöffnet gewesen. Doch dann war meine Stunde endlich gekommen. Ich ging hinein und ließ den Blick umherschweifen. Mir fiel auf, dass 1.) die Schaufensterpuppen hammermäßig dünn aussahen, 2.) im Hintergrund leise Musik durch den Raum perlte, die ich noch nie gehört hatte, und 3.) ich von einem hinreißenden, zarten Geschöpf mit einem höflichen »Bonjour« begrüßt wurde. Ihr unverkennbar französischer Akzent sagte mir auf der Stelle, dass ich im verkehrten Laden war – und außerdem die verkehrte Größe, das verkehrte Alter und das verkehrte Portemonnaie hatte –, aber es war zu spät, einen Rückzieher zu machen und die Flucht ins Land der Stretchklamotten anzutreten. Stattdessen schlenderte ich mit einem ermutigenden »In Wahrheit bin ich viel zierlicher, als ich aussehe« auf den Lippen zum ersten Ständer. Ich ertappte mich dabei, dass ich an einem losen Nagelhäutchen herumzupfte, wie immer, wenn ich nervös bin. Mir ist klar, dass sich so etwas in der Öffentlichkeit nicht gehört, aber vor die Wahl gestellt, stattdessen am Daumen zu lutschen oder mich im Schritt zu kratzen, entscheide ich mich lieber für diese Variante des Stressabbaus. Erst jetzt bemerkte ich, dass die Klamotten nicht nur genauso schön waren, wie ich vermutet hatte, sondern auch noch in meiner Größe am Ständer hingen.
    »Aber natürlisch. Isch zeige Ihnen die Umkleidekabine«, säuselte Amélie, trat hinter dem Tresen hervor und zauberte ein aufrichtig freundliches Lächeln auf ihre Züge, wobei mir auffiel, dass ihr Mund nicht nur sämtliche Zähne von Julia Roberts beherbergte, sondern dass die ihren auch noch weißer und strahlender waren.
    Die Umkleidekabine war sehr einladend gestaltet, mit einem Ganzkörperspiegel, einem bildschönen antiken Stuhl, um die Handtasche abzustellen, und angenehmem Licht. Gefällt mir, dachte ich, als ich in den Spiegel sah. Bei meinem letzten Besuch in einer Anthropologie - Filiale war das Licht so grell gewesen, dass ich die Verkäuferin schon fragen wollte, ob sie es nicht lieber gleich von »grausam« auf »barbarisch« hochdrehen wollte. Ich weiß ja, dass ich mein halbes Leben lang regelmäßig mit einer Zigarette zwischen den Lippen herumgelaufen bin, aber der »Katzenbabyarsch«, den ich in der Umkleidekabine von Anthropologie im Spiegel entdeckte, war so krass, als hätte man mir die Lippen mit Plastilin aufgespritzt, während ich an einer Crackpfeife zog. Wer nie geraucht oder regelmäßig seinen Drink mit dem Strohhalm getrunken hat oder selbst in reiferen Jahren noch knallroten Lippenstift tragen kann, ohne dass er flächendeckend ausblutet, dem will ich nur sagen, dass »Katzenbabyarsch« noch die hübschere Bezeichnung ist für diese tiefen Furchen um den Mund, und für alle, die nie eine kleine Katze besessen haben, tut es notfalls auch das Wort »Welpenarsch«. Nur zur Info: Ich weigere mich, den Monolog an dieser Stelle fortzusetzen, weil ich nämlich nie eine große Hundeliebhaberin war. Und einen Frettchenarsch habe ich noch nie gesehen.
    Jedenfalls entdeckte ich in diesem unsäglichen Spiegel Phänomene wie Falten, Furchen, Wülste, Beulen und etwas, bei dessen Anblick ich mir sagen musste: »Ich hoffe nur, das ist ein Tumor und kein Horn.« Ich war absolut entsetzt. Bevor ich endgültig in Verzweiflung geraten und die Adresse des nächsten Schönheitschirurgen heraussuchen konnte, versuchte ich panisch, mich selbst zu beruhigen.
    »Jede neue Falte, die du entdeckst, ist ein Zeichen deiner Weisheit«, sagte ich mir mit freundlich besänftigender Stimme. »Trage sie mit Stolz. Denn jede einzelne von ihnen steht für eine Herausforderung oder ein Hindernis, das du gemeistert hast.«
    »Du hast ein Arschloch in deinem Gesicht«, meldete sich die fiesere Stimme in meinem Kopf zu Wort. »Bestimmt wünscht sich jeder, von diesem weisen Mund einen herzhaften Schmatzer zu kriegen, oder?«
    »Irgendwann schließt man seinen Frieden mit dem eigenen Gesicht«, erklärte die freundliche Stimme. »Altern hat immer auch etwas Würdevolles.«
    »Besonders wenn man seine Fresse als Baseballhandschuh nutzen will«, konterte die fiese Stimme. »Der wird auch mit jedem Tag weicher und teigiger.«
    »Dieses Licht ist geradezu lächerlich grell und strahlt direkt von oben auf dich herunter«, hob die nette Stimme wieder an. »Wann kommt so etwas im Alltag schon vor?«
    »Keine Ahnung«, ätzte die fiese Stimme. »Schon mal was von der Sonne
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