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Weg da das ist mein Fettnapfchen

Weg da das ist mein Fettnapfchen

Titel: Weg da das ist mein Fettnapfchen
Autoren: Notaro Laurie
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gehört?«
    Ergebnis dieser Episode: Ich finde, vor sämtlichen Umkleidekabinen in diesen Läden sollte ein Abgrund zur Verfügung stehen, in den sich jede Frau stürzen kann, deren sämtliche Makel soeben dank der gnadenlosen Beleuchtung brutal ans Tageslicht gezerrt wurden, um die Ästhetik des Ladens nicht länger als unbedingt notwendig mit ihren Unzulänglichkeiten zu beeinträchtigen.
    Doch hier war die Beleuchtung weich und schmeichelnd, ja, geradezu liebevoll. Als ich in den Spiegel sah, hätte ich schwören können, dass sich zwischen mir und meinem Spiegelbild ein hauchzarter Schleier befand, der mich ähnlich verwaschen aussehen ließ wie eine der Figuren aus Denver Clan .
    »Ich bin perfekt«, flüsterte meine nette Stimme.
    »Du leidest eindeutig unter grünem Star«, versetzte die fiese Stimme flüsternd.
    Egal. Die Rahmenbedingungen waren jedenfalls perfekt, um die süße kleine Rüschenbluse anzuprobieren, was ich auch tat. Ich hängte sie an einen der antik anmutenden Haken an der Wand und bewunderte sie einige Augenblicke lang. Und da sah ich es: das »M« auf dem Etikett. Dort, wo eigentlich ein »L« hätte stehen sollen.
    Mein Herz schrumpelte zusammen wie ein Ballon, dem die Luft ausgeht. »Wieso? Wieso?«, jaulte es und sackte zusammen, als hätte man dem armen Ding mit einer Eisenstange einen verheerenden Hieb in die Kniekehle verpasst. Gerade als ich aufgeben und die Kabine wieder verlassen wollte, fiel mein Blick erneut auf das Preisschild. Okay, probieren konnte ich sie ja mal. Ich meine, wie groß kann der Unterschied zwischen »M« und »L« schon sein? Eine BH -Größe? Mehrere anständige Mahlzeiten direkt hintereinander? Ein paar Wochen Arbeitslosigkeit?
    Also nahm ich die Rüschenbluse vom Bügel und schlüpfte hinein. Alles lief bestens, bis ich den zweiten Arm in den Ärmel schob und er diese Stelle an meinem Oberarm erreichte, die ich als »Knackpunkt« bezeichne: jenes Areal direkt auf Bizepshöhe. Ich bin recht kräftig gebaut, was sich selbstverständlich in meiner Anatomie widerspiegelt. Außerdem speichere ich in dieser Gegend den Großteil meines Winterspecks, der mir mein Überleben sichert, sollte ich rein zufällig auf einem Floß aufs offene Meer hinausgetrieben werden und mein Fuß auf einmal wie ein köstlicher Burrito anmuten. Aber alles nicht so tragisch. Es gab ein klein wenig Widerstand, aber hier ein bisschen ziehen, dort ein bisschen zupfen, und schon saßen die Ärmel da, wo sie sollten, und ich konnte die Bluse zuknöpfen.
    Es stellte sich heraus, dass zwischen »M« und »L« ein nicht unbeträchtlicher Unterschied besteht – nämlich der zwischen 1994 und heute. Ich schaffte es noch nicht mal, dass sich Knöpfe und Knopflöcher ansahen, von einer innigen Umarmung ganz zu schweigen. Es war völlig ausgeschlossen, diese Kluft irgendwie zu überwinden – eine Erkenntnis, die mich wie ein Keulenschlag in die Magengrube traf. Ich war so verliebt in diese Bluse. Ich wollte sie unbedingt haben. Aber ich musste mich mit der tragischen Tatsache abfinden, dass sie mir zu klein war. Ebenso wie mit der Erkenntnis, dass man sich beim Versuch, sich einen Butterkeks quer in den Mund zu schieben, massive Verletzungen an den Mundwinkeln zuziehen kann. Und das Risiko verringert sich nicht, wenn man es häufiger versucht. Man blutet trotzdem.
    Ich betrachtete mich ein letztes Mal im Spiegel, sah vor meinem geistigen Auge noch einmal Laurie 1994 in der hinreißenden Bluse über einem kessen Röckchen und Espadrilles vorbeistolzieren und verabschiedete mich dann schweren Herzens von ihr. Ich schob den Stoff zuerst über die eine Schulter, dann über die andere – und das war genau der Moment, da unser schmerzensreicher Abschied ein jähes Ende nahm.
    Ich hing fest. Die Ärmel, die vorhin perfekt gesessen hatten, nachdem ich nur zweimal lässig daran gezupft hatte, zeigten nun leider herzlich wenig Bereitschaft, ihr behagliches, warmes Nest aus Achselspeck wieder zu verlassen. Genauer gesagt, sie weigerten sich standhaft, sich vom Fleck zu rühren. Ich verdrehte genervt die Augen und schnaubte. Ich beschloss, sie mit einem kräftigen Ruck nach unten zu ziehen, streckte die linke Hand nach hinten, ergriff das rechte Vorderteil und umgekehrt. Einmal kräftig angepackt und Schluss.
    Ich zog. Und zog. Und zog.
    Nichts. Kein Millimeter. Da ging gar nichts.
    Okay, wenn ich sage, die Säume lagen fest um meine Oberarme, will ich damit andeuten, dass sie die Dichtigkeit einer
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