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0588 - AQUARIUS - Dämon aus der Tiefe

0588 - AQUARIUS - Dämon aus der Tiefe

Titel: 0588 - AQUARIUS - Dämon aus der Tiefe
Autoren: Andreas Kasprzak
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Das orangeweiße Licht der beiden Fackeln, die je am Bug und am Heck des klapprigen, morschen Kahns angebracht waren, zauberte funkelnde Diamantsplitter auf die düstere Wasseroberfläche, so schien es den beiden Männern. Es war ein faszinierender und zudem seltsam unheimlicher Anblick, und dieser Eindruck wurde noch verstärkt durch das dumpfe Knarzen der Bohlen und das Plätschern der Wellen, die stetig gegen die Wände des Bootes schlugen.
    Für Aga Sutlej und Ravi Bunjab war das Boot die Garantie dafür, daß ihre Familien morgen etwas zum Essen auf dem Tisch haben würden. In den vergangenen Jahren hatten sie sich an solche Nächte gewöhnt. Sie saßen in dem Kahn, rauchten schweigend ihre Zigaretten und warteten, daß es Zeit wurde, das Netz einzuholen.
    Aga Sutley, zweiundvierzig Jahre alt, blies Rauch durch die Nasenlöcher und sah auf seine Uhr, eine zerkratzte Timex, die er hinter einem Touristenhotel in Bombay im Abfall gefunden hatte. In den Vereinigten Staaten war so ein Billigwecker für zwei Dollar fünfundneunzig in jedem Supermarkt zu bekommen, doch für Aga war es sein wertvollster Besitz.
    Es war kurz vor zwölf.
    Fast Mitternacht.
    Noch fünf Minuten, dann würden sie die Netze, die sie vor einer Stunde ausgelegt hatten, wieder ins Boot ziehen. Wenn sie Glück hatten, fingen sie genug, daß sie für heute nacht Schluß machen konnten, doch wenn Aga ehrlich war - und man sollte immer ehrlich sein, zumindest sich selbst gegenüber -, glaubte er das nicht. Die Tage, an denen man mit drei Durchgängen pro Nacht ausreichend Fische und Octopi in die Netze bekam, lagen so lange zurück, daß er sich nicht mal mehr daran erinnern konnte.
    Vermutlich würden sie bis zum Morgengrauen, bis die nächtliche Finsternis für vierzehn oder fünfzehn Stunden die Herrschaft an den Tag abgab, hier draußen sein, nur um ihre Familien ernähren und vielleicht ein paar überschüssige Pfund Fisch auf dem Markt verkaufen zu können.
    Aber Aga wollte sich nicht beschweren, immerhin ging es ihm und auch seiner Familie noch recht gut. Zumindest verglichen mit einigen anderen Sippen im Dorf. Seine Frau, seine beiden Kinder und er hatten ein Dach über dem Kopf, das den größten Teil des Regens, der mit dem Monsun kam, auffing, und sie mußten auch nicht hungern.
    Was konnte man mehr verlangen?
    Dennoch konnte sich Aga Sutlej ein resigniertes Seufzen nicht verkneifen, als er ein letztes Mal an seiner Zigarette zog und die bis auf den Filter heruntergebrannte Kippe dann über Bord ins Wasser schnipste. Manchmal haßte er es, in diesem Teil der Welt geboren worden zu sein, wo einem für eine Handvoll Rupien die Kehle aufgeschlitzt wurde, wenn man sich nicht vorsah. Das Beste, das ihm in diesem Leben bislang widerfahren war, waren seine Frau Linga und seine beiden Kinder.
    Für sie schuftete er.
    Für sie lebte er.
    Er warf erneut einen Blick auf seine Uhr.
    Mitternacht.
    Es wurde Zeit, die Netze einzuholen und zu sehen, ob ihnen Wishnu dieses Mal wohlgesonnen gewesen war.
    Er sah seinen Freund Ravi an, der acht Jahre jünger als er war, obwohl das bei ihren wettergegerbten Gesichtern, die zwei wesentlich älteren Männern zu gehören schienen, kaum auffiel. »Es ist soweit«, sagte er.
    Ravi nickte. Er lehnte an ihrem zweiten Netz, das im Bug des Bootes lag und geflickt werden mußte, doch bis jetzt hatten sie noch keine Gelegenheit dazu gehabt. Das flackernde Licht der rußigen Fackel leckte über seine faltigen, lederbraunen Züge mit der großen Geiernase, den wulstigen Lippen und den dunklen Augen, über denen buschige, dicht zusammenstehende Brauen wie Querbalken wuchsen.
    Er befeuchtete seine Finger mit Speichel und drückte den gerade mal angerauchten Glimmstengel behutsam aus. Dann steckte er die Kippe in die Hemdtasche, um sich den Rest für später aufzuheben.
    Aga erhob sich vom Rudersitz und ging zum Heck des Bootes, wo das Netz ins Wasser ragte. Doch als er gerade danach greifen wollte, hielt er mit einem Mal inne.
    Er spürte, wie sich die feinen Härchen in seinem Nacken wie elektrisiert aufrichteten, so als würde er unter Strom stehen.
    Verwirrt runzelte er die Stirn.
    Stimmte irgend etwas nicht?
    Er verengte die Augen zu schmalen Schlitzen und suchte das schwarze Wasser rings des Bootes mit seinen Blicken ab. Es kam immer wieder vor, daß sich Haie - Tiger- oder Blauhaie - in der Nähe der Küste sehen ließen. Tagsüber blieben sie meist in dçr Tiefe, unter hundert Meter, aber wenn es dunkel wurde, kamen
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