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Wechsel-Wind

Titel: Wechsel-Wind
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Wirklichkeit nicht das, was ich zu sein scheine. Mein Schicksal hängt allein vor dir ab. Wenn du mich nun also ansehen willst, dann schau in Richtung des Steinhaufens rechts von dir. Ich werde den Kopf heben und nicken, und dann werde ich für immer schweigen. Aber du kannst zu mir reden, und ich werde dich verstehen und für dich tun, was ich kann. Bitte, vertrau mir. Ich heiße Nimby.«
    Er hatte genug gesagt. Jetzt entschied sich Wohl oder Wehe. Langsam hob er den Kopf und spähte über die Steine. Da war sie, und…
    Es war das falsche Mädchen.
    »Oh – ist das ein komischer Esel!« kreischte das Mädchen.
    Und von nun an war Nimby, getreu den Spielregeln, stumm. Er hatte einen guten, langen Moment gehabt, der länger gewesen war als erwartet, und er hatte gut gesprochen. Aber wie war es zu dieser falschen Verbindung gekommen? Er breitete sein Bewußtsein wieder aus und verfolgte den Weg des Mädchens zurück, und einen Moment später wußte er es: Miß Geschicks Pech hatte wieder zugeschlagen. Sie war an eine Wegkreuzung gekommen, gleich hinter einem ausladenden Mauerblümchen, und dort mit einem anderen Mädchen zusammengestoßen. Beiden hatte es den Atem verschlagen, und sie hatten sich wiedergefunden, wie sie keuchend einander auf dem Hinterteil gegenübersaßen. Dann hatten sie sich aufgerappelt, die Kleidung saubergewischt und sich gegenseitig entschuldigt, obwohl beide der Meinung waren, daß jeweils die andere Schuld hätte an dem Zusammenstoß, und sich wieder auf den Weg gemacht – aber beide leider auf den falschen. Geschick hatte den Auftrag des anderen Mädchens übernommen, einen hübschen Topf von einer Topfpflanze zu holen, sonst würde die Mutter sie wieder in den Strafraum sperren. Dabei hätte sie ihr lieber eine Giftnudel mitgebracht. Und dieses mißgünstige andere Mädchen hatte sich auf Geschicks Weg gemacht und gerade ihren Irrtum bemerkt, als Nimby sie ansprach.
    Sie hieß Chlorine, und ihr Talent bestand im Vergiften von Wasser. Sie war einfältig, plump und dabei arglistig – ein völliger Gegensatz zu Miß Geschick. Sie war auch am Zusammenstoß schuld gewesen, denn sie war gerannt, ohne nach vorn zu sehen, viel zu schnell für die Pfadverhältnisse. Deswegen hatte sie Miß Geschick das Pech gebracht, die Begegnung mit Nimby zu verpassen, der ihr so sehr hätte helfen können, und Nimby das viel größere Pech, seinen Eröffnungsmonolog an sie zu verschwenden. Was sollte er mit einer solchen görenhaften Magd nur anfangen? Aber – er war jetzt an sie gebunden.
    Chlorine trat näher zu ihm. »Und jetzt kannst du nicht mehr reden?« wollte sie wissen. »Kannst du auch nicht mehr i-ahen?« Sie kicherte – elegantere Witze brachte sie nicht zustande.
    Sie wollte es nicht anders. Nimby erhob sich und offenbarte ihr seinen Drachenleib.
    »Oh – du bist aber ein komischer Drache«, sagte sie. »Das häßlichste Viech, das ich je gesehen habe. Warum sollte ich denn Wert auf deine Gesellschaft legen?«
    Ja, warum nur? Geschick hätte wenigstens etwas Mitleid aufgebracht, denn sie war ein anständiges Mädchen. Aber Chlorine besaß, um es vorsichtig auszudrücken, eine eher herbe Persönlichkeit. Als Nimby nun sein Bewußtsein Chlorines Leben zurückverfolgen ließ, machte er eine noch bestürzendere Entdeckung: Einst hatte sie nämlich einigen Verstand besessen, nur war ihr der durch die Mißhandlungen ausgebleut worden, die sie aus der Hand ihrer Eltern erlitt. Schon vor langer Zeit hatte sie sich ausgeweint, und nun war nur noch eine einzige Träne übrig, und sie wußte nicht, wo diese geblieben war. Ganz gleich, wie sehr Nimby sie bewegen würde, sie konnte für ihn keine Träne vergießen. Und sie würde sich von ihm nicht bewegen lassen, denn sie war zynisch geworden und achtete nicht mehr auf die Gefühle anderer. Chlorine war ohne Zweifel die größte Niete, die Nimby in dieser Lotterie hatte ziehen können.
    Seine Niederlage zeigte sich auf seinem Gesicht. An eine noch schlechtere Gefährtin hätte er wohl kaum geraten können. Und das nur wegen seiner Unaufmerksamkeit im Umgang mit einer jungen Frau von geradezu sprichwörtlichem Pech. Er hatte die perfekte Rede gehalten – und sie an ein Mädchen verschwendet, das solche Aufmerksamkeit nicht verdiente. Weggeworfen hatte er jede Siegeschance! Gramvoll senkte er das Eselshaupt.
    »Und trotzdem«, fuhr Chlorine fort, »wenn du nicht gelogen hast, dann könnte heute mein Glückstag sein. Ich geb' dir eine Chance. Aber ich warn'
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