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Wassermans Roboter

Wassermans Roboter

Titel: Wassermans Roboter
Autoren: Wolfgang (Hrsg.) Jeschke
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der Musik selbst …
    »Wie sind Sie ins Innere dieser Dinger geraten?«
    … Ich war ihnen zu nahe. Sie haben mich in ihren Strudel gesogen. Dir ist das gleiche zugestoßen. Aber mein Pech ist deine Rettung. Ich kann dich befreien. Spiel mich, Hayes! Spiel uns alle, und du wirst sehen …
    Hayes war entsetzt, zum einen von den Worten der Maschine, zum anderen von der Tatsache, daß er sie überhaupt hören konnte. Entweder war er verrückt oder die Welt ringsum. Aber, zum Henker, vielleicht konnten die Maschinen ihm helfen. Wenn nicht, nun dann war nichts verloren; selbst wenn es sich um Mechanismen des Bösen handelte, spielte das keine Rolle. Das Böse war wenigstens etwas Handfestes, Reales. Er ging zur Kasse hinüber, reichte Ainsley einen Dollar und bat sie um Wechselgeld.
    »Für die Automaten?«
    »Genau.«
    Sie zählte ihm zehn Zehn-Cent-Münzen hin und legte noch zwei dazu. »Probier sie alle aus«, meinte sie mit einem schwachen Lächeln. »Jede dieser Maschinen ist einmalig.« Der letzte Satz klang wie eine Formel, die sie für Kunden parat hatte.
    Er warf eine Münze in den Schlitz des größten Automaten und wich zurück, plötzlich erfüllt von der Vorstellung, daß ein Strahl auf ihn zuschießen und ihn in eine zerbeulte Posaune verwandeln könnte, in eine Posaune mit einer Metallklaue am Zug. Surren, Klicken. Dann ruckte das Ding, erwachte zu unsicherem Leben, zu einem stotternden Klang. Weiße Handschuhe hielten die Bögen und sägten auf den Geigen einen schrillen, weinerlichen Choral. Die Puppenhand entlockte dem verzogenen Cello ein weiches Brummen. Die Trompete plärrte los, die Trommel schnarrte und blubberte, das Saxophon quäkte ein dumpfes Frosch-Solo, und alle zusammen spielten »An der Schönen Blauen Donau«. Kaum erkennbar, das uralte, keuchende Gespenst einer Melodie.
    Hayes wich entsetzt noch einen Schritt zurück. Es schien, als erwachte ein Skelett zu Leben, als fingen die Schenkel eines toten Frosches zu zucken an, weil man sie unter Strom setzte. Er hätte das Ding am liebsten ausgeschaltet. Jeder Laut war ein Hohn, ein makabrer Scherz.
    Aber dann verbeugte sich am anderen Ende des Ladens ein weißhaariger Herr vor einer weißhaarigen alten Dame, und sie begannen steif zu tanzen. Der Busfahrer legte die Arme um die dicke Frau, die neben Hayes gesessen hatte, und auch sie drehten sich im Kreis. Andere Kunden lachten, schwatzten aufgeregt, deuteten, und Hayes erkannte, daß die Maschinen trotz ihres drohenden Aussehens und trotz des unheimlichen Klanges nichts anderes als ein blödsinniges Spielwerk waren, die versponnenen Relikte einer vergangenen Zeit. Und dieser Professor Sombra – falls es ihn je gegeben hatte – war vielleicht ein liebenswerter alter Saufkopf gewesen, der seine Seele im Mundstück der Tuba ausgehaucht hatte. Hayes wollte alle Maschinen hören. Jawohl! Er wollte sie alle in Gang setzen, und gemeinsam würden sie eine geheime Sinfonie spielen … Es war nicht mehr als eine Eingebung seiner Phantasie, eine Laune. Aber als er von einem Automaten zum anderen wanderte und die Münzen einwarf, begann er selbst daran zu glauben. Etwas in seinem Innern löste sich, ein Knäuel entwirrte sich. Und die Veränderung kam von der Musik. Tubas dröhnten, Klarinetten mit einem gesprungenen schwarzen Lacküberzug quiekten, und unsichtbare Finger hämmerten auf die Tasten ein wie der wildgewordene Geist von Harpo Marx. Verstaubte Melodien woben ein Netz aus Mißklängen, ein Dutzend Rhythmen stampften und leierten. Aber irgendwie verschmolzen sie zu einem Meisterwerk modriger Heiterkeit. Die Klänge durchdrangen Hayes. Sprudelten seine Nervenbahnen, das Rückenmark entlang. Setzten alle seine Teile in ruckelnde Bewegung, schufen in ihm die entsprechende Musik, eine an Wahnsinn grenzende Fröhlichkeit. Immer mehr Leute betraten den Laden, suchten sich Partner und begannen zu tanzen, und Hayes fühlte den Drang, es ihnen gleichzutun. Er kämpfte sich an Paaren vorbei zur Kasse und streckte Ainsley eine Hand entgegen.
    »Tanz mit mir!« bat er.
    Sie trat neben ihn, zögerte.
    »Komm!« drängte er. »Das wird der schönste Tanz in unserem Leben.«
    Der Anflug eines Lächelns. »Meinetwegen«, sagte sie, und das klang, als gäbe sie nur nach, damit er endlich aufhörte, sie zu belästigen.
    Sie schoben sich zwischen die anderen Paare, wirbelten durch Zonen schriller Messing-Glissandos und kichernder Fiedel-Riffs. Glänzende Augen und blitzende Zähne, wenn andere an ihnen
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