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Wassermans Roboter

Wassermans Roboter

Titel: Wassermans Roboter
Autoren: Wolfgang (Hrsg.) Jeschke
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daß der Frieden trügerisch gewesen war und daß er mit Schwierigkeiten gerechnet hatte. Er schob eine Hand in die Tasche, wärmte sich dabei die Finger am Lauf der Waffe.
    Der Wagen hielt etwa fünf Meter von ihm entfernt; der Motor brummte im Leerlauf. Laute Musik strömte aus dem offenen Fenster. Ätzende Gitarre, Maschinengewehr-Baß, aggressive Stimme. Die Sonne schleuderte blendend grelle Strahlen gegen die Windschutzscheibe, aber Hayes erkannte dennoch das Transistorradio, das vom Rückspiegel baumelte. Allen stieg aus, rückte den Hut zurecht und kam lässig ein paar Schritte näher. »Gut, daß ich Sie noch erwische«, sagte er. »Wollte mich wegen gestern entschuldigen. Schätze, ich habe mich wie ein Idiot benommen. Aber irgendwann kommt jeder zur Vernunft, und ich hatte heute nacht genug Zeit zum Nachdenken.«
    Allen sah aus wie ein Mann in edler Mission, grimmig entschlossen und mit aufrechtem Blick, und Hayes war erleichtert. »Schon vergessen«, sagte er und wollte weitergehen. Aber Allen hob die Hand.
    »Lassen Sie mich ausreden«, meinte er. »Als ich den Entschluß faßte, hier rauszufahren, hatte ich mir eine Rede zurechtgelegt. Daß Sie es mit mir zu tun kriegen würden, wenn Sie Ainsley schlecht behandeln. Aber dann wurde mir klar, daß ich mich schon wieder zum Narren machen wollte. Mich geht’s nichts an, wie ihr beide miteinander klar kommt, und dabei wollen wir’s belassen.«
    »Ich …« Hayes wußte nicht, was er antworten sollte. Das bewirkte die Musik. Ihr Skorpionstachel drang ihm ins Gehirn und vergiftete die Gedanken; und irgendwo im Hintergrund erklang »An der Schönen Blauen Donau«, eine träge und böse Melodie, die ihn zur Gewalt drängte.
    »Ich will nicht behaupten, daß ich einen Freudentanz aufführe, wenn sie bei Ihnen bleibt«, fuhr Allen fort. »Aber ich werde es respektieren.«
    Von wegen! Der gute Allen besaß längst nicht so viel Feingefühl, wie er behauptete. Zum Henker, nein! Der Mann war durch und durch fies. Hayes erkannte das jetzt, dank der aufschlußreichen Dissonanzen der »Schönen Blauen Donau«. Allen würde sie beobachten, auf eine Krise lauern, einen Streit, und dann versuchen, ihn zu verdrängen. Herrgott, war die Musik laut! Das Schlangengezischel der Becken, heiße, dampfige Messing-Küsse, das modrige, gesprungene Holz alter Fiedeln.
    »Ich liebe Ainsley«, erklärte Allen. »So richtig ist mir das erst klar geworden, als ich sie hergeben mußte.«
    Vielleicht sagte er sogar die Wahrheit, vielleicht war die Melodie der »Schönen Blauen Donau« nicht echt. Es spielte keine Rolle. Hayes wußte, daß es für ihn immer Momente des Versagens geben würde – Stürme in der Welt, denen er nicht gewachsen war. Gewitter aus Wahnsinn und Alpträumen, die sich plötzlich am Himmel zusammenbrauten. Die Gewalt über ihn gewannen, so wie jetzt. Er stand in einem Hagel gelben Lichts, in einem Orkan greller Musik, die alle Gedanken abtötete. »Es tut mir leid.« Er wußte nicht genau, was ihm leid tat, aber der Kummer in seinem Innern schwoll an.
    »Ich sag das nicht, um irgendeinem leid zu tun«, entgegnete Allen. »Aber ich könnte mich ohrfeigen, daß ich so ein Vollidiot war!«
    Hayes wollte sich nicht geschlagen geben. Er kämpfte gegen die Falle, die ihm die Automaten gestellt hatten, gegen die Bänder aus blauer Walzermusik, die sich um seine Seele legten und sie einschnürten, bis er nur noch roten Zorn empfand. Er drehte sich um, wollte zurück zu Ainsley. Vielleicht konnte sie ihn retten.
    »Nun rennen Sie nicht weg, Mann!« sagte Allen. »Meinen Sie, es fällt mir leicht, Ihnen all das zu erzählen?«
    Hayes tat einen Schritt auf das Haus zu. Die Musik umklammerte ihn, zerrte ihn zurück.
    »Ich möchte, daß Sie Ainsley was von mir bestellen«, sagte Allen.
    Hayes blieb stehen und wandte sich ihm zu, obwohl er wußte, daß er weitergehen sollte, weitergehen. Am Leben bleiben, ein anderes Mal ausflippen. Aber darin lag das Problem, oder? Welchen Sinn hatte es, dagegen anzukämpfen? Die Musik war ein Brandzeichen, das ihm die Stirn versengte, und selbst die Sonne sang jetzt, ein schrilles, gelbes Wimmern, das sich mit dem alten Walzer und dem neurotischen Gekreische aus dem Transistorradio vermischte. Alles strömte auf ihn ein, all die Rhythmen und Melodien, das Insektensurren und das ferne, dumpfe Tuckern eines Traktors, ballte sich zusammen zu einer gleißenden Sonne aus Musik, die immerzu in seinem Schädel kreiste. Sich zu einem Tosen steigerte.
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