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Wassermans Roboter

Wassermans Roboter

Titel: Wassermans Roboter
Autoren: Wolfgang (Hrsg.) Jeschke
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neben ihr kauerte ein nackter Mann. Einer der Hoffnungslosen. Er hatte sich in eine Ecke geflüchtet, als Hayes hereinkam, und hockte nun wimmernd da. Ein schriller, heißer Gedankendraht durchzuckte das Gehirn von Hayes. Er setzte sich neben Carla, rief ihren Namen. Sie öffnete die Augen, streckte aber nicht die Arme nach ihm aus wie sonst, und das störte ihn, das störte ihn gewaltig. Hatte sie einen gefunden, der es besser konnte, der ihre Leere angenehmer ausfüllte? Zwei absolute Zombies, die sie im Dunkel des Krankenzimmers vögelten. Seine perverse Eifersucht vermischte sich mit der Erkenntnis, daß Carla fast hinüber war, daß sie es auf der Straße draußen nie schaffen würde. Durfte er sie überhaupt allein lassen? Er zog das Kissen unter ihrem Kopf hervor, hielt es zögernd in beiden Händen. Das Schrillen in seinem Kopf, das Wimmern wurde heißer, lauter, schloß seine Gedanken kurz. Wenn sie noch irgendwie am Leben hing, dann zeigte sie es jedenfalls nicht. Sie starrte ihn nur an, mit großen leeren Augen. Angeekelt von sich selbst schleuderte er das Kissen weg … oder er hatte es getan und schleuderte erst dann das Kissen weg. Oder er hatte die Tür aufgeschlossen, die beiden gesehen und sich zurückgezogen, und nichts war geschehen. Das heiße Schrillen in seinem Gehirn hatte alles übertönt. Was war Einbildung gewesen, was häßliches Wunschdenken, festgefressen in seinem Innern, was Realität? Er konnte es nicht sagen und hatte keine Möglichkeit mehr, es in Erfahrung zu bringen.
    »Hayes?« Ainsley bewegte sich und streifte seine Schulter.
    »Hier bin ich«, sagte er.
    Sie setzte sich auf und preßte beide Hände über ihre Brüste. Ein Schauer durchlief sie. »Merkwürdig«, murmelte sie. »Ich kann es fast hören, wenn du über deine Vergangenheit nachdenkst.«
    Er wußte nicht, was er darauf antworten sollte. In der Ecke neben ihr lagen ein paar Federn, ein paar Scherben. Symbole ihrer Gegenwart, seiner Vergangenheit. Am liebsten hätte er mit jemand oder etwas einen Pakt geschlossen, damit er wurde wie diese einfachen Dinge. Er stellte es sich schön vor, für immer in dem verlassenen Haus zu liegen, das Mondlicht einzufangen, in der Brise zu zittern. »Ich hatte gehofft, alles würde in Ordnung kommen, wenn ich erst aus der Anstalt raus bin«, meinte er schließlich. »Aber ich falle immer wieder zurück …«
    »Das braucht Zeit«, entgegnete sie. »Bis die Wunden verheilt sind und du neue Kräfte sammelst. Der Ort hier ist genau richtig für dich, Hayes. Kein Druck von außen und jemand, der … der dich mag.«
    »Und Allen?«
    »Ach, der! Schnüffelt sicher noch eine Weile rum. Aber er wird sich hüten, dir was zu tun, denn er weiß, daß es dann endgültig aus ist.«
    Sie konnte die Zukunft so leicht, so glaubhaft darstellen … Wenn sie es nur oft genug sagte und er genau hinhörte – vielleicht reichte das. Ihre Haut schien stärker zu leuchten, als habe sie das Mondlicht aufgesogen. »Ich glaube, du verstehst mich nicht«, sagte er. »Ich … ich bin ein bißchen verrückt.«
    »Du bist nicht verrückter als die meisten normalen Leute hier«, erklärte sie.
    »Findest du?« Er begann von den Musik-Automaten und der Stimme des Professors zu erzählen.
    »Für Nadoka ist das normal – Ehrenwort!«
    »Das glaube ich nicht.«

    »Mann, solche Stories kannst du in jeder Bar von hier bis Tulsa hören! Und die Leute, die sie zum besten geben, schwören Stein und Bein, daß sie die Wahrheit sagen. Vielleicht tun sie’s sogar.« Ihre Hand glitt unter die Decke und streichelte sein Glied, bis es sich aufrichtete. Dann schob sie ein Knie über seine Hüfte, und er drang in sie ein. »Du mußt nur an uns beide glauben, Hayes, und … aah!« Langsam versank er in ihr, und seine Gedanken, seine Skepsis lösten sich auf.
     
    Am nächsten Morgen schlich er sich aus dem Haus, ohne sie zu wecken, zielbewußt und zuversichtlich. Er wollte im Laden Orangensaft, Brot und Marmelade holen, für ein Frühstück auf der Veranda. Noch war es frisch draußen, aber die Sonne hatte bereits Kraft und vertrieb den Dunst von den grünen Feldern. Libellen mit transparenten Schillerflügeln stiegen schwankend aus dem Unkraut am Wegrand; an den Blattunterseiten klebten ihre Eier. Fliegen umschwirrten einen Kuhfladen. Hayes registrierte all diese Dinge mit der Begeisterung des Stadtmenschen. Er war locker, frei von Ängsten. Als er jedoch den Polizeiwagen mit einer roten Staubfahne näherkommen sah, wußte er,
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