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TS 18: Der strahlende Phönix

TS 18: Der strahlende Phönix

Titel: TS 18: Der strahlende Phönix
Autoren: Harold Mead
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I
     
    Jener Frühsommermorgen war der erste Tag, den ich, John Waterville, nach acht langen Monaten wieder in der Zivilisation verbrachte.
    Ich muß vorausschicken, daß ich ein Forscher war, der einzige, der noch lebte – ich glaubte es wenigstens –, denn keiner meiner Kollegen war von den Expeditionen, die nach Europa, Afrika und in den Osten geschickt wurden, zurückgekehrt. Ich war mein eigener Pilot. Auf der Rückkehr begleiteten mich im Hubschrauber meine beiden Ingenieure, die Wissenschaftler und die überlebenden Träger. Meine Begleiter waren genaugenommen auch Menschen und Bürger, aber da sie rekonditioniert waren, fällt es schwer, sie als Menschen anzusehen. Es war, wie ich mich erinnere, der Jahrestag der Staatsgründung. Am Abend würde, wie jedes Jahr, die Feier vor dem Altar des Menschengeistes stattfinden. Von meinem Zimmer konnte ich die Kuppel des Schreines sehen, eine riesige, weiße Betonhaube, die über dem Herzen der Stadt zu schweben schien. Es war noch früh, kurz vor sieben Uhr, und die Straße unter meinem Fenster füllte sich mit Arbeitern, die zu ihren Arbeitsplätzen eilten. Ich stand und lauschte ihren festen Schritten. Zwischendurch ertönte ein Schrei. Sicher war es ein Beamter der Moralpolizei, der ein paar Faulenzer zum Schnellergehen antrieb. Dann trat ich ans Fenster und blickte hinunter auf den dunklen Menschenstrom, der sich zwischen den Steinmauern hindurchschob. Nach sieben Uhr war die Straße plötzlich leer. Erst kurz vor acht würde sie sich wieder mit untergeordneten Staatsbeamten füllen, die mit Glockenschlag ihren Dienst anzutreten hatten.
    Um viertel vor acht Uhr bekam ich Hunger. Das Restaurant im Erdgeschoß würde die Essenausgabe bald einstellen. Ich mußte mich daher beeilen. Als ich gerade hinausgehen wollte, traf ich im Korridor auf eine Botin. Am Abzeichen ihrer Uniform erkannte ich, daß sie aus dem Moralbüro kam. Sie wollte meinen Expeditionsbericht abholen und überreichte mir einen Brief in einem langen Umschlag.
    „Meine Instruktionen, nehme ich an?“ fragte ich sie.
    Sie war nicht mehr jung und hatte einen stupiden Gesichtsausdruck.
    Als ich ihr den Empfang des Briefes schriftlich bestätigte, sah ich, daß er vom Büro des Präsidenten kam. Ich steckte das Schreiben ungelesen in meine Tasche, gab der Botin meinen Expeditionsbericht und eilte dann zum Essen.
    Das Restaurant war leer, bis auf einige Bedienungsbeamtinnen, die schmutziges Geschirr wegräumten und den Fußboden fegten. Der Raum war reine Sachlichkeit und sonst nichts: Große Tische mit hygienischen Plastikflächen, einfache Sitzgelegenheiten und eine lange Theke. Ich ging zur Theke, wo ein Mädchen damit beschäftigt war, eine Schale zu putzen.
    „Kann ich das Frühstück haben?“ fragte ich.
    Sie blickte auf die Uhr. Die Zeiger standen auf fünf Minuten vor acht. Nach den Bestimmungen endete die Frühstücksstunde Punkt acht Uhr. Das Mädchen legte den Kopf zur Seite und blickte mich an. „Sie werden zu spät zur Arbeit kommen“, sagte sie.
    „Ich habe einen Urlaubstag. Wenn Sie wollen, kann ich Ihnen meine Papiere zeigen.“ Sie verschwand, um die Chefbeamtin zu Rate zu ziehen. Ich machte mich auf eine Szene gefaßt. Doch sie kam zurück und sagte nur: „Wir werden oft von Inspektoren besucht, weil manche Leute zu spät zu ihren Arbeitsplätzen kommen. Die Chefin möchte durch Sie nicht in Schwierigkeiten geraten.“
    Ich ließ meinen ganzen Charme spielen, obwohl ich nicht gerade behaupten kann, viel davon zu besitzen. Ich bin klein und untersetzt und trage einen schwarzen Bart. „Nun, geben Sie Ihrem Herzen einen Stoß“, sagte ich. „Ich bin sehr hungrig. Haben Sie nicht irgend etwas für mich? Ich werde mich auch beeilen, und wenn ein Inspektor kommen sollte, dann kann ich ihm Rede und Antwort stehen.“
    Sie ließ sich überreden. Ich stellte fest, daß sie ein ganz attraktives Mädchen war, ein wenig voll, aber sie hatte eine gute Figur, die sich unter ihrer weißen Uniform vorteilhaft abhob. Ich hatte schon lange keine Frau mehr gesehen.
    „Nun“, sagte sie, „wenn es Ihnen nichts ausmacht, könnte ich Sie in das Hinterzimmer hineinlassen und Ihnen dort Ihr Frühstück servieren. Da essen wir, und die Inspektoren kommen nie herein, sie schauen sich nur im Restaurant um und passen auf, daß jeder zur rechten Zeit das Essen beendet.“
    Ich folgte ihr. In dem kleinen Raum, den wir betraten, saßen ein Dutzend Frauen, die gerade ihre Mahlzeit beendet hatten. Sie
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