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Tod den Unsterblichen

Tod den Unsterblichen

Titel: Tod den Unsterblichen
Autoren: Frederik Pohl
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1
     
    Dieser Mann heißt Cornut, wurde 2166 geboren und ist jetzt dreißig Jahre alt. Er ist Hochschullehrer.
    Mathematik ist sein Fach, die Zahlentheorie seine Spezialität. Er liest über die Mnemotechnik der Zahl, ein Studiengebiet, das sein ganzes schöpferisches Denken in Anspruch nimmt. Aber er denkt auch viel an Frauen; irgendwie losgelöst und distanziert.
    Er ist unverheiratet. Er schläft allein, und das ist nicht besonders gut.
    Wenn man in seinem kleinen Schlafzimmer umhergeht (es hat lila Wände und eine cremefarbene Decke, das sind die Mathe-Turm-Farben), hört man ein Wispern und ein schwaches Sirren. Die Geräusche rühren nicht von Cornuts Atmen her, obwohl er friedlich schläft. Das Wispern ist das kaum hörbare Ssiep, ssiep einer elektrischen Uhr. (Sie fiel einmal herunter. Nun ist ein Zahnrad etwas verbogen und reibt sich an einer Niete.) Das Sirren kommt von einer anderen Uhr. Wenn man sich genauer umschaut, entdeckt man noch mehr Uhren.
    Es gibt, alles in allem, fünf Uhren im Zimmer. Lauter Wecker, die so gestellt sind, daß sie gleichzeitig klingeln.
    Cornut ist ein gutaussehender Mann, wenn auch ein bißchen blaß. Als Frau (etwa als eines der Mädchen aus seinen Seminaren) möchte man dafür sorgen, daß er mehr Sonne abbekommt. Man möchte ihn päppeln und ihm öfter ein Lachen entlocken. Er ist sich nicht bewußt, daß er Sonnenschein und Päppeln nötig hat, aber er ist sich deutlich bewußt, daß er irgend etwas nötig hat.
    Er weiß, daß irgend etwas nicht in Ordnung ist, und er weiß das, unwiderlegbar, seit sieben Wochen.
    Die fünf Uhren ticken munter auf sieben Uhr fünfzehn zu, dann sollen sie klingeln. Cornut hat viel Zeit damit verbracht, sie gleichzeitig zum Läuten zu bringen. Er stellte jeden Wecker, überprüfte ihn, indem er die Zeiger drehte, um auf die Sekunde genau ausfindig zu machen, wann der Auslöser klickte, stellte und überprüfte jeden einzelnen sorgfältig immer wieder. Jetzt klingeln, rasseln oder surren sie garantiert innerhalb einer Viertelminute nacheinander.
    Allerdings hat einer von ihnen eine schlechte Angewohnheit. Es ist der, den Cornut einmal hat fallen lassen. Leise klickt er einige Augenblicke früher, als der Weckmechanismus selbst klingelt.
    Jetzt klickt er.
    Es ist kein sehr lautes Geräusch, aber Cornut bewegt sich. Seine Augen blinzeln. Sie schließen sich wieder, aber er schläft nicht mehr fest.
    Nach einem Moment schlägt er die Decken zurück und setzt sich auf. Seine Augen sind fast geschlossen.
    Angenommen, man wäre ein Bild an seiner Wand – vielleicht das Porträt von Leibniz, nach einem alten Stich von Ficquet. Dann sähe man mit den Augen unter der großen Lockenperücke, wie dieser junge Mann aufsteht und langsam zu seinem Fenster geht.
    Sein Zimmer liegt im achtzehnten Stock.
    Falls ein Bild an der Wand sich erinnern kann, so wird es sich erinnern, daß dies nicht das erstemal ist. Falls ein Bild an der Wand Dinge wissen kann, so weiß es, daß er schon zuvor versucht hat, aus diesem Fenster zu springen, und eben im Begriff ist, es nochmals zu versuchen.
    Er versucht, sich umzubringen. Er hat es in den letzten fünfzig Tagen schon neunmal versucht.
    Falls ein Bild an der Wand Bedauern empfinden kann, wird es das bedauern. Es ist schrecklich unsinnig von diesem Mann, immer wieder zu versuchen, sich umzubringen, denn er will überhaupt nicht sterben.
     

2
     
    Cornut fühlte sich in seinem Schlaf unbehaglich. Er spürte benommen, daß er sich in eine unangenehme Lage gebracht hatte, und außerdem rief jemand seinen Namen. Er murmelte, verzog das Gesicht, schlug die Augen auf.
    Er schaute senkrecht in die Tiefe, fast zweihundert Fuß.
    Sofort war er hellwach. Er taumelte gefährlich, aber jemand packte ihn von hinten beim Arm, jemand, der ihn anschrie. Wer immer es sein mochte, er riß Cornut brutal ins Zimmer zurück.
    In diesem Augenblick ertönten die fünf Wecker wie ein gutgeschulter Chor; einen Takt später klingelte das Telefon neben seinem Bett; die Zimmerbeleuchtung blitzte auf, gesteuert von ihrer Automatik, eine Leselampe drehte sich, und ihre neu eingesetzte Röhre richtete sich wie ein Scheinwerfer auf das Kissen, auf dem Cornuts Kopf hätte sein sollen.
    »Geht es Ihnen gut?«
    Die Frage war mehrmals wiederholt worden, drang es zu Cornut durch. Er sagte wütend: »Natürlich geht es mir gut!« Es hatte nicht viel gefehlt; seine Adern füllten sich plötzlich mit Adrenalin, und da es sonst nichts zu tun gab, luden sie
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