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Wassergeld

Wassergeld

Titel: Wassergeld
Autoren: Gmeiner-Verlag
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im Sommer einen toten Erntehelfer fanden. Die unbekannte Person im Fledermauscape war dabei, Fußmatten unter die Vorderräder zu legen, um ein Durchdrehen der Antriebsachse zu vermeiden. Sie bemerkte uns erst, als wir unmittelbar vor ihr standen. Mit der Taschenlampe, die ich aus Gerhards Dienstwagen mitgenommen hatte, leuchtete ich in das wild zuckende Gesicht von Doktor Metzger. Ausgerechnet hier musste uns dieser Notarzt über den Weg laufen.
    »Was soll das?«, maulte er uns an. Seine langen feuerroten Haaren fielen seitlich aus dem Regenumhang. »Nehmen Sie die Lampe weg, Sie blenden mich.«
    »Guten Abend, Herr Doktor Metzger. Was machen Sie denn hier?«
    Metzger schaute mich verwirrt von oben bis unten an. »Ach, Sie sind’s, Herr Palzki. Kommen Sie gerade von einem Kostümfest? Ich habe Sie noch nie in einem Anzug gesehen. Denken Sie, dass dies das richtige Outfit bei dieser Witterung ist?« Er stimmte in sein mir hinlänglich bekanntes Frankensteinlachen ein. »Was ist eigentlich da drüben los?« Er zeigte in Richtung Marx’scher Weiher, der allerdings von unserem Standort aus nicht zu sehen war. »Zuerst diese Explosionen, dann jede Menge Feuerwehr und der THW, jetzt sogar Sie. Ist mal wieder jemand über die Wupper gegangen? Ich meine natürlich über den Rhein!« Wieder dieses unmenschliche Lachen.
    »Welche Explosionen?«, riefen Gerhard und ich fast synchron.
    »Woher soll ich das wissen? Das ist schon fast zwei Stunden her. Erst dachte ich an ein Feuerwerk. Aber um diese Jahreszeit in dieser Gegend?«
    »Was ist genau passiert?«
    »Es hat halt gekracht. Mensch, Palzki, irgendetwas hat da fürchterlich geknallt. Zweimal, dreimal, keine Ahnung. Ich konnte nicht nachschauen gehen, ich hatte noch einen Kunden.«
    Einen Kunden? Ich erschrak. Mit Kunden meinte Doktor Metzger üblicherweise Patienten. Ich vermutete eher Selbstmordkandidaten.
    »Wo waren Sie, als Sie diese Explosionen gehört haben?«
    »Na hier, in meiner mobilen Klinik. Bei dem Sauwetter gehe ich doch nicht freiwillig nach draußen.«
    Ich starrte das Reisemobil an. »Wie nannten Sie das? Eine mobile Klinik?«
    »Ja, ja«, nickte Metzger eifrig. »Wussten Sie nicht, dass ich hier wohne und arbeite?«
    »Wie bitte? Sagen Sie jetzt bloß nicht, dass Sie hier Ihren Hauptwohnsitz haben und Ihre sogenannten kleinen Operationen in diesem Gefährt durchführen.«
    »Doch, Herr Palzki, Sie haben es schon richtig verstanden. Ist selbstverständlich alles legal. Auch ein Gewerbe habe ich angemeldet. ›Mobile Gesundheitsberatung und Prophylaxe – Doktor Metzger‹. Die Geschäfte laufen gut. Selbst im Winter bin ich so gut wie ausgebucht. Auf dem Campingplatz gibt es immer etwas zu tun. Von kleinen Messerstechereien über Blinddarm bis zum Bypass. Das volle Programm eben.«
    Ich musste unbeschreiblich dämlich aus der Wäsche geschaut haben. »Sie wollen doch nicht etwa sagen, dass Sie in diesem Wohnmobil als Arzt praktizieren? Dafür gibt’s doch mit Sicherheit keine Genehmigung!«
    »Na ja, wie man es nimmt, Herr Palzki. Eine stationäre Arztpraxis würde hier mit Sicherheit nicht genehmigt werden. Meine mobile Gesundheitsberatung ist eine Marktlücke. Und eine Gesetzeslücke zugleich. Ich gebe Ihnen ein Beispiel. Sie wohnen doch in Schifferstadt im Neubaugebiet. Versuchen Sie dort einmal, eine Baugenehmigung für eine kleine Holzhütte zu bekommen. Das ist fast aussichtslos. Und wenn Sie es dennoch versuchen wollen, dann müssen Sie mithilfe eines Architekten einen förmlichen Bauantrag stellen, selbstverständlich mit Statik und Pipapo. Wenn Sie auf Ihr Grundstück aber einen Bauwagen stellen und ihn als Gartenhaus nutzen, brauchen Sie nichts dergleichen, solange Sie die Räder dranlassen. Dann ist es keine Immobilie, sondern ein Fahrzeug. Genauso ist es hier. Meine mobile Gesundheitsberatung ist genehmigt. Wenn mein Reisemobil an 360 Tagen im Jahr auf meiner Parzelle des Campingplatzes steht, ist das folglich in Ordnung. Ich kann ja, wenn ich will, jederzeit wegfahren. Somit ist das durchaus gesetzeskonform.«
    Das war unglaublich harter Tobak für mich. »Sie haben tatsächlich eine Erlaubnis, in Ihrem Fahrzeug Operationen durchzuführen?«
    Ich bemerkte, dass ich einen wunden Punkt getroffen hatte. Metzger wandte sich und war verlegen. Schließlich antwortete er: »Ich muss zugeben, manches lege ich durchaus individuell aus. Prophylaxe bedeutet für mich auch so etwas wie Vorbeugung gegen den Tod. Daher sehe ich Operationen als legitime
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