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Was wir erben (German Edition)

Was wir erben (German Edition)

Titel: Was wir erben (German Edition)
Autoren: BjÖrn Bicker
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hat keine Lust, die Abende alleine zu verbringen. Er geht zum Sport. Ins Kino. Manchmal mit Freunden zum Essen. Ich habe der Regieassistentin gesagt, dass ich mich krank fühle und Schonung brauche. Und bevor ich richtig flachliege, habe ich sie beruhigt, bleibe ich heute Abend zu Hause. Die Assistentin hat die Schnute verzogen, aber mein schlecht gelaunter Blick, kurz davor, ins Ungehaltene abzugleiten,hat sie sofort einlenken lassen. Du hast ja einen Arzt zu Hause, hat sie beschwichtigt.
    Am Theater ist Krankheit ein Problem. Die knappen Probenzeiten. Vorstellungen, die ausfallen könnten.
    Ich habe Holger aus der Garderobe angerufen. Und ohne vorher nachzudenken, habe ich losgequatscht. Holger, wir müssen reden, es ist etwas passiert, das du unbedingt wissen musst. Stille am anderen Ende der Leitung. Nein, nein, nichts Schlimmes, habe ich gleich hinterhergeschoben, damit er sich keine Sorgen machen musste. Das hält er nicht aus, wenn er Dienst hat. Nicht solche Anrufe, hat er mich ganz am Anfang unserer Freundschaft gebeten, nachdem ich ihm am Telefon wegen einer versäumten Verabredung eine Riesenszene gemacht hatte. Ich kann mir solche Sorgen in der Klinik nicht erlauben, hat er mir damals erklärt. Es gehe da nicht um ihn, sondern um die Patienten. Und denen gehöre seine ganze Aufmerksamkeit.
    In Ordnung, hat er gesagt, ich bin um acht zu Hause.
    Ich habe gekocht, Kartoffeln und Forelle, habe Wein auf den Tisch gestellt, Kerzen angezündet und Holger ist nach Hause gekommen und hat die Küche betreten und hat gelächelt und dann hat er mich in den Arm genommen. Er hat mich ganz fest an sich gedrückt. Er hat nach Desinfektionsmittel und Zigaretten gerochen. Muss ich aufhören zu rauchen, hat er mich leise gefragt. Ich habe gar nicht verstanden, was er gemeint hat. Nein, habe ich gesagt, bloß nicht, dann hast du ja überhaupt kein Lastermehr. Aber, wenn du schwanger bist und wir ein Kind kriegen, ist es doch besser, ich höre auf. Nein, nein, habe ich gerufen, ich bin nicht schwanger, ach so, du hast gedacht, ich mach das hier alles, weil ich dir sagen wollte, dass wir ein Kind kriegen, nein, bitte, entschuldige, daran habe ich gar nicht gedacht, es geht um etwas ganz anderes. Holger hat mich von sich weggeschoben und seine Hände in den Hosentaschen vergraben. Soweit ich weiß, hat das mit Daran-Denken nicht viel zu tun, hat er gesagt und sich an den gedeckten Tisch gesetzt. Er sah traurig und enttäuscht aus. Er wünscht sich so sehr ein Kind. Wir haben es eine Zeit lang darauf angelegt, aber es hat nicht geklappt und dann haben wir entschieden, nicht mehr daran zu denken, vielleicht funktioniert es ja dann. Holger fing an, den Korkenzieher in den Hals der Weinflasche zu drehen. Hätte ja sein können, hat er gelacht. Holger lacht immer so bizarr, wenn es ernst wird. Und ohne den Kopf zu heben, hat er in das fette Ploppen des Korkens hinein gefragt: Was ist es denn dann?
    Ich habe ihm von unserem Treffen erzählt.
    Während ich sprach, hat er sich mit beiden Händen an seinem Weinglas festgehalten, wie an einem Glühwein, den man draußen trinkt, wenn es eiskalt ist. Wissend, dass einem danach noch kälter wird. Seine Augen waren klein, müde, wie nach einer großen Anstrengung, nach einem langen Tag im Freien. Er hat mich angeschaut, als wollte er sagen: Jetzt weißt du endlich, was Dir die ganze Zeit gefehlt hat. Als sei
ihm
soeben bestätigt worden, dass
seine
Diagnose, die er niemals vor den Kollegen auszusprechen gewagt hätte, die zutreffende gewesen sei. Kein Triumph, aber Genugtuung. Er sah mich an und blieb stumm. Also habe ich geredet: Ich weiß überhaupt nicht, ob das stimmt, was der Typ behauptet. Er sagt zwar, dass er mein Bruder ist, aber es ist nichts bewiesen, gar nichts.
    Ja, ich habe Dich
Typ
genannt, ich wollte Holger gegenüber nicht zeigen, wie nah Du mir schon bist, nach so kurzer Zeit. Ich habe so getan, als sei ich noch im Modus des Überprüfens, als gäbe es für mich noch Zweifel an Deiner Glaubwürdigkeit.
    Und dann hat Holger gesagt: Macht doch einfach einen Test. Er wollte mir helfen, er hat tatsächlich geglaubt, der Zweifel würde mich umtreiben. Pass auf, habe ich gesagt, ich brauche diese Art Beweise nicht. Ich glaube an das, was ich sehe, was ich fühle. Genauso wenig wie ich irgendeine künstliche Befruchtung brauche, um schwanger zu werden, genauso wenig brauche ich einen Gentest, um zu glauben, dass das mein Bruder ist. Wenn überhaupt, dann Halbbruder, hat Holger
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