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Was wir erben (German Edition)

Was wir erben (German Edition)

Titel: Was wir erben (German Edition)
Autoren: BjÖrn Bicker
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das Lachen verkneifen musste, ich wollte ihn ernst nehmen, ich wollte ihm folgen, ich wollte, dass er seine Arbeit an mir verrichten konnte, aber das fiel verdammt schwer. Stell dich auf das Fensterbrett, befahl er mir. Ich sah ihn kurz an, sein Blick verriet Entschlossenheit. Ich tat, was er sagte, und kletterte auf den schmalen Holzvorsprung und hielt mich mit beiden Händen am Fensterrahmen fest. Los, stell dich nach draußen, trau dich. Er griff meine Beine von hinten. Ziemlich weit oben. Ich ruckelte nach vorne, bis meine Füße auf dem äußeren Fenstersims angekommen waren. Und jetzt leg los, sagte Thomas ruhig, aber bestimmt. Loslegen? Womit? Text, schrie er, Text, jetzt sofort! Schrei es nach draußen. Ich tat es. Erst leise, dann, nach ein paar weiteren Aufforderungen zur Ekstase, immer lauter. Ich brüllte es heraus. Ein Mal, zwei Mal, drei Mal, immer heftiger, gegenüber gingen schon die ersten Fenster auf, unten auf der Straße blieben ein paar Leute stehen und sahen mir zu. Ein Typ von der anderen Straßenseite riet mir, damit aufzuhören. Erwolle seine Ruhe haben. Spiel ihn an, nimm ihn, sag’s ihm, zischte Thomas von hinten. Und ich tat es. Der Typ schüttelte mit dem Kopf, hörte sich meine Tirade ein Weile an und rief laut zu mir herüber: Was für ein Dachschaden. Eine Frau von unten bellte zu mir hoch, Hilfe, Hilfe, ob ich Hilfe brauche, ob es mir gut gehe. Ich beschimpfte sie als Verräterin, die Hilfe anböte, aber Verrat meine, ganz in meiner Rolle, die Jungfrau, die Kämpferin, die Terroristin, die Unerbittliche, die Alleingelassene. Ich erfand neue Texte, auf niemanden könne man sich in diesem Leben verlassen, man sei nur auf der Welt, um wieder von ihr zu verschwinden, aber trotzdem solle man daran arbeiten, die Welt besser zu machen, gerechter, glaubwürdiger, Liebe, wir brauchen Liebe! Nieder mit den Lügen über das Leben! Das hatte mit der
Jungfrau von Orleans
so viel zu tun wie Thomas mit meiner Familie, aber das war egal. Plötzlich tauchten unten zwei Polizeiwagen auf. Die Polizisten sprangen aus ihren Autos und zwei von ihnen liefen ins Haus, es klingelte an der Tür. Scheiße, rief Thomas, die Bullen. Mach auf, schrie ich ihn an, los, geh zur Tür, was wollen die schon, wir machen doch nichts Verbotenes, ich stehe hier und brülle ein paar Wahrheiten in den Abend, die sollen nur kommen. Ich war richtig in Fahrt. Er zog mich vom Fensterbrett und schob mich durch mein Zimmer zur Wohnungstür. Das musst du machen, das ist deine Wohnung, sagte er ängstlich. Ich öffnete die Tür, verschwitzt, das T-Shirt halb über die Schulter gezogen. Der eine Polizist, ein kleiner Dicker, hatteseine Mütze in der Hand und wischte sich mit dem Unterarm den Schweiß von der Stirn. Der andere schob sofort einen Fuß in die Wohnung. Alles in Ordnung bei Ihnen, fragte er mich. Ja, alles okay. Wir proben. Theater. Das war nicht ernst. Das war Spiel, machen Sie sich keine Sorgen. Wir machen uns keine Sorgen, sagte der Dicke. Wir schauen nach dem Rechten. Die Nachbarn haben angerufen. Sie sind zu laut. Sie können sich gerne in Ihr Fenster stellen, aber bitte leise, schob der Dicke sichtlich genervt hinterher. Was proben Sie denn da, fragte der Jüngere belustigt. Der Dicke schaute seinen Kollegen verwundert an. Schiller, klärte ich ihn auf.
Die Jungfrau von Orleans
. Schiller, rief der Jüngere, Schiller! Das können Sie ja dann demnächst bei geschlossenem Fenster proben, zischte der Dicke und schüttelte den Kopf. Der Jüngere lachte. Bitte entschuldigen Sie meinen Kollegen, er ist ein Banause. Der Dicke fand das nicht lustig. Er wollte meinen Ausweis sehen und meine Aufenthaltserlaubnis. Sie sind also eine Studentin. Was studiert die Dame denn, wenn man fragen darf? Schauspiel. Reinhardt-Seminar. Und der Herr. Der Herr ist Schauspieler. Nur hier in der Wohnung, oder kann man Sie auch gelegentlich auf einer Bühne bewundern? Der Dicke kam in Fahrt. Burgtheater, sagte Thomas, nachdem er eine sehr gekonnte Kunstpause eingelegt hatte. Der Jüngere und der Dicke schauten sich an. Burgtheater? Sie sind also Schauspieler am Burgtheater? Nicht schlecht, sagte der Dicke. Warum sagen Sie das nicht gleich? Die beiden entspannten sich. Der Junge hob seineFäuste wie zum Boxkampf und rief: Olé! Der Dicke setzte seinen Hut wieder auf. Na dann, sagte er, einfach ein bisschen leiser, wenn Sie so freundlich wären. Und lassen Sie sich nicht weiter stören, sehr interessant, Burgtheater. Habe die Ehre. Die Situation
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