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Was wir erben (German Edition)

Was wir erben (German Edition)

Titel: Was wir erben (German Edition)
Autoren: BjÖrn Bicker
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gespielt unbeteiligt vor sich hin gemurmelt, aber egal – ihr seid aus einem Fleisch und Blut. Ihr seid Verwandte. Dagegen könnt ihr nichts machen. Das hat Holger gesagt. Und ich habe gesagt: Ich bin mehr als mein Blut. Ich bin ein Mensch mit einer Geschichte. Entscheidend ist doch: Wer hat mich als Kind ins Bett gebracht, wer hat mich zum Schwimmen lernen ins Wasser geworfen, mit wem habe ich das erste Mal geschlafen, wer waren meine Lehrer, wer hat michschlecht behandelt, wer nicht. Wir sind nur miteinander verwandt, wenn wir das wollen, nur dann. Ich habe versucht, gegen die Biologie anzureden.
    Also glaubst Du ihm doch, hat Holger gefragt. Ja, ich glaube ihm. Es gibt keinen Zweifel. Und dann habe ich das Foto, wie ein Full House beim Poker, vor ihm auf den Tisch gelegt. Und Holger: Die stehen vor dem Olympiabad. Vor unserem Olympiabad.
    Später am Abend hat Holger von Zwillingsforschung angefangen. Von telepathischen Beziehungen. Er hat von Leuten gesprochen, die nach der Geburt getrennt wurden und dreißig Jahre lang nichts voneinander gewusst haben. Wie unvollständig sich diese Leute all die Jahre gefühlt haben. Dass es bei allen diese Ahnung gegeben habe, dass da noch jemand sei. Die unfreiwillige Ähnlichkeit: Die gleichen Lieblingsspeisen, derselbe Sport, ihre Ehepartner trügen dieselben Namen, bei einem Paar habe man sogar festgestellt, dass sie über Jahre denselben Urlaubsort besucht hätten, allerdings jeder von beiden zu einer anderen Jahreszeit. Sonst wären sie sich wahrscheinlich schon früher begegnet, hätten einen lustigen Abend in einem Strandrestaurant miteinander verbracht, hätten die Adressen ausgetauscht und sich ein paar Jahre lang zu Weihnachten per Mail eine von diesen Grußkarten geschickt.
    Wir sind keine Zwillinge.
    Holger und ich haben noch lange in der Küche gesessen. Holger erzählte mal wieder von seinem Urgroßvater, derangeblich auf einer Reise durch die amerikanischen Südstaaten in einem Whiskey-Fass ertrunken ist. Wir haben gelacht, wir wurden immer ausgelassener, später haben wir in der Küche getanzt. Holgers Augen funkelten, sein Gesicht glühte. Alles fühlte sich plötzlich neu an. Wir haben uns geküsst wie lange nicht mehr. Später lagen wir erschöpft und glücklich im Bett.
    Ich habe von Deinen Händen geträumt, tatsächlich, von Deinen Händen. Sie sehen aus wie seine Hände, die Hände des Vaters. Lange, schmale Finger, Fingernägel, die sich wölben, und diese Hauthöcker auf den Gelenken. Eure Hände gibt es nicht oft.

Im Café hast Du mich gefragt, ob ich zufrieden sei mit meinem Beruf. Ja, habe ich geantwortet, wie ein braves Mädchen, das gefragt wird, ob es gerne zur Schule geht. Ich habe mir immer gewünscht, Schauspielerin zu werden.
    Der Vater hat mich nie auf der Bühne gesehen.
    Als ich meiner Mutter erzählt habe, dass ich zum Schauspielstudium nach Wien gehen werde, war sie nicht überrascht, obwohl ich ihr meine Bewerbung am Reinhardt-Seminar bis dahin verheimlicht hatte. Schön, schwärmte sie, Wien. Mein Berufswunsch interessierte sie nicht. Sie konnte sich unter Schauspielerei nichts Konkretes vorstellen. Sie dachte wahrscheinlich: Irgendwas mit Fernsehen. Von dem Renommee der Schule hatte sie keine Ahnung. Deshalb schien es ihr auch nicht sonderlich bemerkenswert, dass ich in Wien auf Anhieb angenommen worden war. Sie hatte keinen blassen Schimmer von diesen quälenden Aufnahmeprozeduren. Als wir jung waren, hat sie gesagt, dein Vater und ich, da hat er mir von Wien vorgeschwärmt. Wien, hat er immer gesagt, wir fahren nach Wien. Wenn sie mal wieder kraftlos gewesen sei, dann habe er von dieser gemeinsamen Reise geredet, umsie zu trösten, ihr ein Ziel vor Augen zu halten. Sie zwei. Ganz alleine. Aber er habe immer nur versprochen. Nie gehalten. Auf die Frage, warum sie nicht alleine hingefahren sei, ohne den Vater, fing sie schlagartig an zu heulen, das könne sie nicht erklären, die Zeit sei so schnell vergangen. Aber nun könne sie
mich
besuchen, ihre Tochter, darauf freue sie sich.
    Als die Mutter ein halbes Jahr später tatsächlich anrückte, habe ich ihr die Stadt gezeigt, alles, Museen, Kaffeehäuser, Bellaria-Kino, Zentralfriedhof, Prater, wir sind ins Theater gegangen, und ich war stolz, dass ich mich schon so gut zurechtfand in dieser Stadt, ich war euphorisch, weil ich bis dahin nur die kleinen Käffer der Eifel gekannt hatte, aber die Mutter konnte nichts begeistern, kein Funke ist übergesprungen, sie war skeptisch, sie ist
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