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Was will man mehr (German Edition)

Was will man mehr (German Edition)

Titel: Was will man mehr (German Edition)
Autoren: Hans Rath
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«Das ist totaler Schwachsinn! Was, wenn sie Wehen bekommt? Dann ist zwar das größte Ärzteteam der Geschichte bei ihr, aber wahrscheinlich müssen sich alle ein Stethoskop teilen. Außerdem sind die Krankenbaracken sicher total überfüllt. Das Wasser ist dreckig, die Tiere sind giftig, und die Hitze ist mörderisch.»
    «Die politischen Unruhen hast du vergessen.»
    «Meinetwegen gibt es auch noch politische Unruhen», ergänze ich schlecht gelaunt. «Kann ich sie irgendwie erreichen?»
    «Nein. Im Grunde nicht», erwidert Iris. «Das Londoner Büro hat Funkkontakt, aber auch nur gelegentlich. Am besten, du gehst da vorbei und fragst, ob sie dich mit Audrey verbinden können. Übermorgen will sie aber sowieso wieder zurück sein.»
    «Dann hoffe ich nur, dass sich unser Sohn an seinen errechneten Geburtstermin hält.» Es hört sich wie ein Witz an. Aber gerade mache ich mir wirklich Sorgen um Audrey und das Baby.
    «Meine Schwester kennt sich mit Extremsituationen ganz gut aus», sagt Iris beruhigend. «Audrey ist zwar risikofreudig und manchmal auch ziemlich chaotisch. Aber sie ist nicht verrückt. Mach dir also keine Sorgen, es wird schon alles gutgehen.»
    Auf dem Weg zu Schamski hallt Iris’ Bemerkung in meinem Kopf nach. In den vergangenen Monaten habe ich getreu diesem Leitspruch gelebt. Ich habe mir keine Sorgen gemacht und daran geglaubt, dass die Dinge sich schon irgendwie zum Guten wenden werden. Leider ist das Gegenteil eingetreten. Seit ich auf mein Glück vertraue, hält mir das Pech eisern die Treue. Jetzt bin ich ein Mann in den Vierzigern, der keinen Job, kein Geld und keine berufliche Perspektive hat, dafür aber bald eine Familie ernähren muss. Vielleicht sollte man den Leitspruch einfach abwandeln. Ich würde es so formulieren: Mach dir schon deshalb keine Sorgen, weil du damit rein gar nichts an deinen Problemen änderst.

    Ich treffe Schamski in einem Café, das früher einmal eine Metzgerei gewesen sein muss. Die Wände und der Boden sind weiß gekachelt, was den Laden atmosphärisch irgendwo zwischen Bahnhofstoilette und Frankensteins Operationssaal verortet. Jedenfalls hat man nicht das Gefühl, hier länger als unbedingt nötig verweilen zu müssen. Diesen Eindruck unterstreichen die Auslagen in den Vitrinen. Die Sandwiches wirken übernächtigt, das Gebäck macht einen knochentrockenen Eindruck. Immerhin ist der Tee ganz hervorragend.
    «Du siehst nicht gut aus», eröffnet Schamski und gibt ein paar Spritzer Zitrone in sein Mineralwasser. Ich habe ihn schräg gegenüber in einem von Melissas Fitnessstudios abgeholt. Offenbar hat Schamski dort trainiert. Er trägt Sportkleidung und hat sich ein dunkelblaues Kopftuch um die Halbglatze gebunden. Er wirkt so fit, wie ich ihn noch nicht erlebt habe, seit wir uns kennen. Und das sind immerhin schon ein paar Jahre. Offenbar macht es sich bezahlt, dass er jetzt mit der Inhaberin einer Fitnesskette liiert ist. Da Melissa Iris’ und Audreys Tante ist, könnte man mich als Schamskis Schwiegerneffen in spe bezeichnen. Er müsste also eigentlich ein bisschen freundlicher sein. Ich gehöre schließlich zur Familie – im weitesten Sinne.
    «Wenn du sagst, dass ich nicht gut aussehe, meinst du dann meinen verknitterten Anzug oder mein verknittertes Gesicht?», witzele ich.
    «Beides», erwidert Schamski ohne einen Funken Humor.
    Gewöhnlich reagiert er schlagfertiger. Offenbar ist er noch nicht auf Betriebstemperatur. Macht nichts, das können wir ja ändern. «Ich weiß, dass ich mir Designerklamotten nicht mehr leisten kann», sage ich. «Aber immerhin laufe ich nicht rum wie ’n schwuler Pirat.»
    Die freundschaftlich gemeinte Frotzelei verfehlt ihr Ziel gründlich. Schamskis Miene verdüstert sich. Er zieht das blaue Tuch vom Kopf, wirft es auf den Tisch und streicht mit der Hand über seinen fast kahlen Schädel.
    «Kundenservice», sagt er dann. «Ich halte mich zwar in Form, aber die Halbglatze lässt mich trotzdem alt aussehen. Deshalb das Tuch. Unsere Kunden sollen schließlich glauben, dass man jung und fit bleibt, wenn man regelmäßig bei uns trainiert.»
    Ich sehe mit Bestürzung einen Anflug von Bitterkeit in seinen Augen. «Entschuldige. Ich wollte dich nicht beleidigen», erwidere ich unbehaglich. «Ich finde es sehr anständig, dass du Melissa hilfst, die Fitnesskette zu sanieren. Ehrlich.»
    Schamski sieht mich an, und es ist nicht klar, ob er nun amüsiert oder sauer ist. «Fitnesskette», wiederholt er dann. Es klingt fast
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