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Was will man mehr (German Edition)

Was will man mehr (German Edition)

Titel: Was will man mehr (German Edition)
Autoren: Hans Rath
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Priester werden will.»
    «Oha! Das klingt nach einer schweren Sünde», bemerke ich. Ärgerlich, dass mir dieser Trick als Teenager nicht eingefallen ist.
    «Sicher, aber Betty Crowley war jede Sünde wert», konstatiert Mulligan.
    «Und hat die Strategie funktioniert?»
    «Ja und nein. Wir hatten tatsächlich eine kurze Affäre. Aber als sie erfuhr, dass ich sie belogen hatte, verließ sie mich Knall auf Fall.»
    «Was man ihr nicht verübeln kann», antworte ich. «Aber immerhin haben Sie bekommen, was Sie wollten: ein Abenteuer mit Betty Crowley.»
    «Das schon. Nur leider hatte ich mich zu diesem Zeitpunkt bereits unsterblich in sie verliebt», erklärt Mulligan. Das Bedauern über diese unvorhergesehene Wendung der Ereignisse ist ihm noch heute anzusehen, obwohl die Sache wahrscheinlich mehr als vierzig Jahre zurückliegt.
    Ich nehme noch einen großen Schluck Guinness und lasse Mulligan ein wenig Zeit für ein paar melancholische Gedanken an laue Sommernächte mit Betty Crowley. «Haben Sie versucht, sie umzustimmen?»
    «Selbstverständlich. Ich habe ihr Briefe geschrieben und Blumen geschickt. Ich habe sie mit Einladungen überhäuft. Ich habe massenweise Konzert- und Kinokarten gekauft. Ich habe sie angefleht, wenigstens ein Eis mit mir essen zu gehen. Aber es half alles nichts. Anfang 1970 trennten sich nicht nur Simon and Garfunkel, sondern auch Betty Crowley und ich.»
    «Traurige Geschichte», sage ich und frage mich, was wohl aus den beiden geworden wäre, wenn Betty eingelenkt hätte.
    «Allerdings. Das mit Simon and Garfunkel hat mir den Rest gegeben», erwidert Mulligan. «Glücklicherweise trennten sich wenig später auch die Beatles. Das machte die Sache dann wieder ein bisschen wett.»
    «Haben Sie sie je wiedergesehen?»
    «Die Beatles?»
    «Betty Crowley.»
    «O ja!», erwidert Mulligan. «Ich beschloss, nach unserer Affäre tatsächlich Priester zu werden. Ich war frustriert, enttäuscht, ein bisschen lebensmüde, und ich war definitiv fertig mit der Liebe. Ideale Voraussetzungen, um als Seelsorger zu arbeiten. Ich war jedenfalls sicher, dass ich nie wieder eine Frau in meine Nähe lassen würde.»
    Ich stutze. «Ich dachte, Sie sind Anglikaner.»
    «Na und? Auch Anglikaner können ein Keuschheitsgelübde ablegen.»
    «Ach, Sie haben …», sage ich und überlege. «Das finde ich …» Tja, wie finde ich es eigentlich, wenn jemand freiwillig auf Sex verzichtet? Auf jeden Fall seltsam. Und auch irgendwie fahrlässig. Was, wenn das alle machen würden? Sex könnte dann eines Tages plötzlich von der Evolutionsliste verschwinden. Wahrscheinlich haben Emus und Strauße auf ganz ähnliche Weise ihre Flugfähigkeit verzockt.
    «Na ja, ich war eben jung, und deshalb habe ich überreagiert», unterbricht Mulligan meine Überlegungen. «Bereits im ersten Semester hatte sich mein Keuschheitsgelübde erledigt. Eine Irin hat dafür gesorgt. Sie hieß Grace McCorman, hatte rote Locken und die Angewohnheit, beim Orgasmus das halbe Studentenheim aufzuwecken.»
    «Hören Sie das eigentlich auch?», frage ich. Seit unserer Havarie sind zu den beunruhigenden Geräuschen, die der Bus schon vorher gemacht hat, ein paar noch beunruhigendere Geräusche hinzugekommen. Zum einen ein Wummern, zum anderen ein Knirschen.
    Mulligan schließt die Augen und konzentriert sich. «Klingt, als käme es von unten. Vielleicht das Fahrwerk. Oder die Räder. Oder auch die Bremsen.»
    «In jedem Fall scheint es etwas zu sein, das wir noch benötigen», fasse ich zusammen. «Ich glaube, ich werde mal ein paar Worte mit unserer kompetenten Reiseleitung wechseln.»
    «Ob das was bringt?», unkt Mulligan. «Die beiden haben gerade absichtlich eine Straßenlaterne überfahren. Glauben Sie, die interessieren sich für technische Feinheiten?»
    «Hallo, hier ist nochmal der Willi», tönt es in diesem Moment wie zur Bestätigung aus den Lautsprechern. «Nach unserem kurzen ungeplanten Abstecher in die französische Provinz hat unser Navigationssystem jetzt wieder Empfang. Voraussichtlich werden wir in knapp einer Stunde in Calais eintreffen und dort die Fähre um …»
    Diesmal wird Willis Durchsage von einem Scheppern unterbrochen, dass in eine Art Bimmeln übergeht. Es klingt, als würde uns ein penetranter Eisverkäufer verfolgen. Der Bus verringert die Geschwindigkeit, wodurch nun auch das Bimmeln leiser wird.
    «Scheiße, Mann!», hört man Bertram sagen. «Das ist bestimmt die verfluchte Stoßstange. Die war eben schon
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