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Was will man mehr (German Edition)

Was will man mehr (German Edition)

Titel: Was will man mehr (German Edition)
Autoren: Hans Rath
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locker.»
    «Ja, und jetzt?», fragt Willi ratlos.
    «Nix. Lass schleifen. Die fällt schon irgendwann ab», erwidert Bertram.
    «Quatsch! Ist doch viel zu laut», stellt Willi fest. «Wie sollen die dahinten bei dem Krach denn pennen?»
    Man hört Bertram lange seufzen. «Gut. Dann halt eben an. Wir schrauben das Drecksding ab. Dann ist Ruhe.»
    Offenbar hat Willi vergessen, das Mikrophon abzuschalten, denn der Dialog war nicht für uns gedacht. Man merkt es an Willis folgender diplomatischer Durchsage: «Hallo, hier ist nochmal der Willi. Wir haben leider einige winzige technische Probleme, die wir aber rasch selbst beheben können. Wir werden deshalb kurz anhalten. Ich verspreche Ihnen, es dauert nicht lange. Vielen Dank schon jetzt für Ihr Verständnis.»
    «Hab es mir abgewöhnt», sage ich wenig später zu Mulligan, als der mir eine Zigarette anbietet. Wir stehen auf der nassen Straße etwas abseits des Busses unter einem imposanten Sternenhimmel. Der Regen hat aufgehört. Leise hört man Bertram und Willi diskutieren, während sie sich mit der Stoßstange abmühen. Ein paar der Reisenden vertreten sich die Beine, rauchen und plaudern. Die meisten sind auf ihren Plätzen geblieben.
    «Ich habe auch ein paarmal versucht, es mir abzugewöhnen», erwidert Mulligan. «Hat leider nie lange gehalten. Und inzwischen hab ich keine Lust mehr aufzuhören. Ist jetzt einfach zu spät.»
    «Angeblich ja nicht», erwidere ich. «Es lohnt sich wohl noch …»
    «Ja, ich weiß», unterbricht Mulligan ein wenig ungehalten. «Hat mein Arzt auch gesagt. Angeblich lohnt es sich immer. Wenn ich jetzt aufhöre, hat er gesagt, dann habe ich in zehn Jahren die Konstitution eines Nichtrauchers.»
    «Und?»
    «Nichts und. In zehn Jahren bin ich über siebzig. Was soll ich da mit der Konstitution eines Nichtrauchers? Besser aus dem Sessel hochkommen?»
    Man hört klirrend einen Schraubenschlüssel auf den Asphalt fallen, gefolgt von einem leisen Fluchen.
    «Kann ich jetzt doch eine Zigarette haben?», bitte ich.
    «Auf gar keinen Fall.» Mulligan macht keine Anstalten, die Packung hervorzukramen. «Lassen Sie den Quatsch einfach. Ich bin ein alter Sack, aber Sie noch lange nicht. Wie alt sind Sie? Neununddreißig? Vierzig?»
    «Dreiundvierzig.»
    «Jedenfalls lohnt es sich bei Ihnen noch.»
    «Sechzig ist eigentlich auch kein Alter.»
    Mulligan lächelt. «Das stimmt. Es gibt ja auch einige Dinge in meinem Leben, für die es nicht zu spät ist. Und vielleicht gibt es sogar ein paar wenige Dinge, für die es im Leben NIE zu spät ist …» Er unterbricht sich selbst, inhaliert tief und bläst den Rauch in den Nachthimmel. «Aber kennen Sie das denn nicht? Diese Momente im Leben, wo etwas definitiv zu spät ist?»
    «Doch», antworte ich und muss an Iris denken. Genau das hat sie zu mir gesagt. Dass aus uns vielleicht was hätte werden können. Dass es aber dafür definitiv zu spät ist.
    «Ich sehe Ihnen an, dass Sie wissen, wovon ich rede», sagt Mulligan und hält mir nun doch die Packung Zigaretten hin.
    Ich schüttele den Kopf. «Danke. Vielleicht sollte ich es wirklich lassen.»
    Zufrieden steckt Mulligan die Zigaretten wieder ein.
    «Sie haben eben gesagt, dass Sie Betty Crowley wiedergesehen haben.»
    Mulligan nickt, kommt jedoch nicht dazu, mir zu antworten.
    «Alles klar! Es kann weitergehen!», ruft Bertram, schiebt geräuschvoll seinen Werkzeugkasten in den Laderaum des Busses und lässt die Luke mit einem derartigen Krachen ins Schloss fallen, dass die meisten Reisegäste aus dem Schlaf hochschrecken.
    Als wir wieder unsere Plätze eingenommen haben, sehe ich, dass auch Mulligan müde ist. Wir nippen an unseren Bieren.
    «Ich möchte nur kurz die Augen schließen, nur eine Minute», sagt er. Im nächsten Moment ist er eingeschlafen.
    Auch ich lehne mich zurück und lasse das Wummern des Motors und das Rauschen des Fahrtwindes auf mich wirken. Keine Minute später spüre ich eine bleierne Müdigkeit auf mich herabsinken.
    «Endstation», höre ich als Nächstes Willi sagen. Die Stimme kommt aus weiter Ferne. Nur langsam erwache ich aus einem traumlosen Schlaf und schaue in das Gesicht unseres Fahrers.
    «Was ist los?», frage ich verwirrt. «Sind wir etwa schon in London?»
    Mulligan erwacht ebenfalls. Er murmelt etwas Unverständliches, nimmt einen Schluck Bier und späht aus dem Fenster.
    «Haben Sie meine Durchsage nicht gehört?», fragt Willi.
    Ich schüttele den Kopf. Dabei fällt mir auf, dass der Bus leer ist.
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