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Möbel zu Hause, aber kein Geld für Alkohol: Kreuzberger Szenen (German Edition)

Möbel zu Hause, aber kein Geld für Alkohol: Kreuzberger Szenen (German Edition)

Titel: Möbel zu Hause, aber kein Geld für Alkohol: Kreuzberger Szenen (German Edition)
Autoren: Klaus Bittermann
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Die lustigen Alkis
    Vor dreißig Jahren hatte die RAF im »Graefekiez«, den damals noch niemand so nannte, ein letztes Refugium. Damals gab es noch keinen Bioladen, keinen Weinladen, keine als Liegewiese umfunktionierte Admiralbrücke, auf der Amateure auf Bongos trommeln, auf Gitarren schrammeln, Harfen zupfen oder andere Instrumente quälen, es wallfahrteten noch keine Touristen aus aller Welt durch die Straßen, es bildeten sich keine Kindertrauben vor dem Eiscafé, es gab keinen von Studenten und ihren Eltern belagerten Italiener, bekannt als »Weitwurfpizzeria«, weil es schnell gehen muss, nur einen unechten mit mindestens zehn Zentimeter dickem Pizzateig, und statt Bars und Straßencafés gab es nur eine übel beleumundete Berliner Eckkneipe, die »Standesamt« hieß. Außerdem ein paar Antiquitätenläden mit harten Jungs, die davor herumlungerten und harte Sachen tranken.
    Einer von ihnen musste sogar mal von einem Spezialkommando mit schusssicheren Westen abgeholt werden, weil er sich in seiner Wohnung verschanzt hatte und mit seiner Knarre herumballerte. Ich beobachtete den Einsatz und zischte »Scheißbullen« bzw. »Bullenschweine«. In Zeiten der Hausbesetzerbewegung Anfang der achtziger Jahre machte man das so. Das gehörte in der Hausbesetzerbewegung zur Etikette. Meine Freundin zerrte mich weg, bevor eine schusssichere Weste schlechte Laune kriegte. Erst Jahre später wurde der Mann mit der Knarre wieder gesichtet, mit ein paar Tattoos mehr.
    Vor kurzem treffe ich sie wieder, die RAF. Vor »Getränke Hoffmann« lungern ein paar Jungs von der Rest-Alkohol-Fraktion herum. Ein Dicker, der eine frappierende Ähnlichkeit mit John Goodman aus »Barton Fink« von den Coen-Brüdern aufweist, drängt mich in eine Ecke, um mir einen Witz zu erzählen, den er aber als solchen nicht ankündigt. Er sagt nicht, ich erzähle dir jetzt mal einen Witz, sondern er sagt einfach: »Möbel zu Hause, aber kein Geld für Alkohol.« Dann lacht er sich schlapp, kippt einen Jägermeister, schwingt sich auf ein Mofa, das unter seinem breiten Arsch kaum mehr zu sehen ist, und knattert davon.
    Ich hieve zwei Kasten Rhön-Sprudel in den Kofferraum. »Ah, Aquaholiker!«, macht sich eine Stimme aus der RAF lustig, die sich vor dem Laden zusammengerottet hat. »Ich brauch das zum Brandlöschen«, sage ich etwas matt. »Aha! Soso! Ach ja? Echt ma? Ähem!«, raunt es aus der RAF. Sogar Gekicher vernehme ich. Und dann klirren wieder die Flaschen.

Asche zu Asche
    Das hat er nicht verdient, mein alter Freund Wolfgang. Ein professioneller Grabredner hält die Grabrede. Er spricht salbungsvoll esoterisch angehauchte Weisheiten über den Menschen, der in uns allen weiterlebt und dort ein neues Zuhause findet. Das hätte ich eigentlich nicht so gern. Da würden sich inzwischen ganz schön viele Leute tummeln, einige auch, die sich schon zu Lebzeiten nicht ausstehen konnten. Das gäbe ein Gekeife und Gezanke, und das in mir drin, wo ich schon selber oft genug mit mir in den Haaren liege. Und selbst die Leute, die sich gut verstehen, ich meine, was sollen die den ganzen Tag miteinander reden? Das will man ja auch nicht immer hören.
    Ich denke an Doris, die einmal bei einem Begräbnis mitten in die Totenrede hineinplatzte: »Das ist doch alles gelogen!« Okay, sie war vielleicht ein wenig zugekokst, aber das muss man erstmal bringen. In Gedanken ziehe ich den Hut vor ihr. Da hätte der Grabredner aber einpacken können. Diesmal ist keine Doris da. Das Ritual nimmt seinen Lauf. »Asche zu Asche«, sagt der Grabredner und wirft Sand auf den Sarg. Kann man ihn nicht gleich hinterherwerfen?
    Als ich Wolfgang kennenlernte, hatte er gerade eine kleine Yacht in Nizza geklaut und schipperte mit ihr auf dem Mittelmeer herum. Als ihm das Geld ausging, kam er nach Berlin zurück, zog bei mir ein und fuhr Taxi. Er war immer gut gekleidet dank einer Kreditkarte, die nicht ihm gehörte. Dann wurde die Yacht in einem kleinen Hafen einer kleinen Insel auf dem Atlantik anhand der Motornummer identifiziert. Ein Detektiv der Versicherung hatte sich nachts heimlich auf das Schiff geschlichen. Also immer die Motornummer wegfeilen, wenn man eine Yacht klaut. Nur mal so als Tipp.
    Früh um sechs klingelte mich die Polizei aus dem Bett, um sein Zimmer zu durchsuchen. Wolfgang sprang aus dem Fenster. Zum Glück Parterre. Der Fall wurde in Bild breitgetreten, nachweisen konnte man ihm nichts.
    Jahre später fragte ich ihn, ob er diese Geschichte nicht mal
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