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Möbel zu Hause, aber kein Geld für Alkohol: Kreuzberger Szenen (German Edition)

Möbel zu Hause, aber kein Geld für Alkohol: Kreuzberger Szenen (German Edition)

Titel: Möbel zu Hause, aber kein Geld für Alkohol: Kreuzberger Szenen (German Edition)
Autoren: Klaus Bittermann
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regelmäßig zur Prophylaxe zu gehen. Prophylaxe sei was für »Vollkaskoheinis«, für »Jack-Wolfskin-Deppen«, für »spießige Quadratisch-Praktisch-Gut-Menschen«, sagt sie. Jetzt sieht die Sache natürlich anders aus. Schmerztabletten helfen nicht mehr, also doch Arzt.
    Doktor A. aus Aserbaidschan hat Sonntagsdienst. Er ist klein und rund und speckig, und das erste, wonach er fragt, ist die Praxisgebühr. Auf 50 Euro kann er nicht herausgeben. »Einen Augenblick«, murmelt er und macht sich mit dem Schein aus dem Staub. Einen Augenblick denke ich tatsächlich, er würde mit dem Geld verduften, aber das ist natürlich lächerlich.
    Nach der Untersuchung wendet sich Dr. A. an mich: »Ist nicht schlimm.« Und anerkennend fügt er hinzu: »Sie haben Ihre Frau gut gepflegt.« Aber die Zähne, gebe ich zu bedenken. Bakterien, kein Thema, ein bisschen desinfizieren und schon würde es besser werden. Wird es aber nicht.
    Am nächsten Tag bringe ich Nadja zum Arzt meines Vertrauens. Der sieht sich die Sache an, breitet die Arme aus und sagt, so groß ungefähr sei die Karies. Und was das denn für ein Arzt gewesen sei? Ein Tierarzt? Wir wollen das nicht kategorisch ausschließen. »Aber nett war er schon«, sagt Nadja. Immerhin hat er uns einen schönen Satz geschenkt, ein sprachliches Kleinod, das uns für immer bleiben wird, und das ist mit zehn Euro nicht überbezahlt. Und auch über die falsche Diagnose ist Nadja sehr froh. Womöglich hätte der »Tierarzt« sonst gebohrt. Ein kalter Schauer durchfährt sie.

In Ruhe Zeitung lesen
    Die Sonne lockt. Also raus, in Ruhe Zeitung lesen im Café »Goldmarie«. Aber die sonnensüchtigen Kreuzberger haben bereits alles in Beschlag genommen. Nein, ein Stuhl ist noch nicht besetzt. Ich frage den Mann, ob der Platz noch frei sei. Ja, aber er sei Raucher, ob mich das störe. Nein, ich finde das sogar erfreulich. Ein Widerständler inmitten der rauchfreien Kiezzone.
    Kaum habe ich mich gesetzt, quält ein Straßenmusikant ganz fürchterlich sein Instrument. Mein Tischnachbar faucht: »Hau ab. Das kannste in Istanbul machen. Nicht hier. Istanbul ist da drüben«, dabei zeigt er in eine Richtung, in der Istanbul bestimmt nicht liegt.
    Er telefoniert: »Ja genau, und besorg Rotkäppchen. Halbtrocken. Ne, nicht trocken. Ja, für 3.99. Und ab die Lotti.« Er kichert ins Handy und ich bemerke, dass seine Aussprache einen gewissen Feuchtigkeitsgehalt aufweist. Noch versuche ich krampfhaft, mich in die Zeitung zu vertiefen, aber ich habe den Kampf bereits verloren, denn mein Gegenüber überrascht mich mit der Frage: »Sind Sie heterosexuell?« Ich sehe auf. Damit ist der Damm gebrochen. Sturzbachartig schlagen die Wellen über mir zusammen. Ich brauche gar nichts zu sagen, auch nicht, ob ich nun heterosexuell bin oder nicht. Obwohl ich das jetzt schon spannend gefunden hätte, jedenfalls, wenn ich er gewesen wäre.
    »Hamse was gegen Schwuletten?«, fragt er. Ich sage nichts, ich bin ja nicht verrückt. Ich habe das Gefühl, dass alles, was ich sage, gegen mich verwendet wird. Außerdem will er sowieso nicht, dass ich rede. Und das ist wiederum eine meiner leichtesten Übungen. »Ich bin ne Schwulette. Der dicke Schlitten da gehört meinem Arzt. Auch schwul.« Er zeigt auf einen nagelneuen Mercedes. »Bei dem war ich grad. Ein Arschloch. Hab ihm mal das Leben gerettet. Glauben Se nicht? Is aber so. Wollte mir 40.000 Euro geben, aber ich hab ihm gesagt, steck dir dein Scheißgeld in den Arsch.« Er kichert. »Nützt ihm sowieso nichts. Der machts nämlich nicht mehr lang. Krebs. Ich arbeite ja ehrenamtlich im Krankenhaus. Was ich da jeden Tag für ein Elend sehe!« Er nimmt die Sonnenbrille ab und Rotz und Wasser laufen ihm übers Gesicht. »Das können Sie sich gar nicht vorstellen. Grauenhaft.« Ich nutze einen Moment der Unachtsamkeit und mache mich davon. Er hat seinen doppelten Absolut verschüttet und sieht nach der Kellnerin, um ihr zu sagen, ein Windstoß hätte das Schnapsglas umgekippt.
    »Warten Sie, Sie müssen mein Zeuge sein«, ruft er mir hinterher.

Essen in Kreuzberg
    In der Dieffenbachstraße hat ein neues Thailändisches Restaurant aufgemacht. Nadja und ich setzen uns an ein Tischchen. Direkt daneben hat jemand etwas zur Verschönerung der Umwelt beigetragen und ein kleines, von einem Maschendrahtzaun geschütztes Einquadratmeterbiotop angelegt mit einer alten Baumwurzel, Blumen, Unkraut und nach Gartenerde müffelnder Gartenerde.
    Hinter uns brüllt eine blonde
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