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Möbel zu Hause, aber kein Geld für Alkohol: Kreuzberger Szenen (German Edition)

Möbel zu Hause, aber kein Geld für Alkohol: Kreuzberger Szenen (German Edition)

Titel: Möbel zu Hause, aber kein Geld für Alkohol: Kreuzberger Szenen (German Edition)
Autoren: Klaus Bittermann
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die Beute ist reichlich und fett. Ich genieße die Stille, den coolen, souveränen und schnellen Service am Verkaufstresen.
    Doch eines nachts überraschen mich dezente französische Chansons. Was machen die an einem türkischen Imbiss? Ich drehe mich um. In einer Ecke des keinesfalls runden Pavillons steht eine dilettantisch zusammengezimmerte Cocktailbar aus Holz. Sie steht illuminiert und verlassen da. Niemand beachtet das neuartige Angebot, mit dem der Pavillon-Besitzer aufgerüstet hat.
    Junge amerikanische Touristen nuckeln Bionade und Flaschenbier. Das eigenartige Ambiente lässt sie kalt. Ihnen entgeht der Zauber, der sie umgibt. Sie sind immun dagegen. Zu Hause werden sie alles vergessen haben.
    Einen Tisch weiter sitzt ein Boxer. Jedenfalls sieht er aus wie ein Boxer. Er muss eine Menge in sich hinein schlichten, um seine Muskelmasse zu versorgen. Er ist vollkommen auf das Essen konzentriert.

Im West-Germany
    »Go West«, ruft mir meine innere Stimme zu, und der folge ich eigentlich fast immer. Genauer, auf nach »West-Germany«. Und dafür gibt es auch einen Grund, und der heißt Bobby Bare Jr., ein von mir sehr geschätzter Countrysänger und Songwriter.
    In Berlin endet für ihn eine ausgedehnte Europatournee, und wenn die Auftrittsorte so waren wie in Kreuzberg, dann hat er die Hölle zumindest nicht mehr vor sich. Das »West-Germany«, fünf Minuten vom Kottbusser Tor entfernt und in einem sozialdemokratischen Betonklotz untergebracht, gleicht eher einem ausgebombten Unterschlupf für Heckenschützen in einem Bürgerkriegsgebiet als einem Ort, an dem man gerne Musik hören möchte, die ein paar mehr Nuancen zu bieten hat als die berühmten Three Chords aus Punk-Zeiten.
    Aber genau dorthin hat ihn ein verbrecherischer Manager hinverklappt. Der gekachelte Raum, in dem Zwischenwände und die Decke herausgerissen wurden, verstrahlt den Charme einer Metzgerei. Nicht gerade der richtige Ort, um einen Künstler zu animieren, alles zu geben. Schon gar nicht vor 26 Leuten, einschließlich Techniker, Freunde, Verwandte und Bekannte. Und ich sehe Bobby Bare auch den Überdruss an, in einem solchen Laden zu spielen.
    Aber was soll er tun. Er entert die winzige Bühne, die vollgestellt ist mit Equipment und auf der er sich kaum bewegen kann, und singt ein paar seiner ruhigeren Stücke solo, Songs vom fürchterlichen Sonnenaufgang, wenn der Teufel in die Nase gekrochen ist und alles außer Kontrolle gerät. Er schüttelt seine ihm in die Augen hängenden Locken, das karierte Hemd hängt ihm aus der am Schritt zerrissenen Cordhose. Er müht sich, er schließt die Augen, um das vor ihm liegende Elend nicht zu sehen, er ignoriert die wenigen Zuschauer und versucht erst gar nicht, zu ihnen einen Draht herzustellen. Erst als ein Bandmitglied sich auf der Bühne eine Gitarre greift und damit versehentlich an die Decke stößt, kann er sich den Witz nicht verkneifen, doch hier bitte nicht die Einrichtung zu demolieren.
    Dann kündigt er an, dass es von Stück zu Stück lauter wird, und das wird es auch, vielleicht weil er dem Zauber seiner Musik nicht traut und die traurige Szenerie mit dem unvermeidlichen Gitarrengewitter zukleistern muss. Dabei kehrt er dem Publikum wie zur Strafe den Rücken zu und haut autistisch in die Saiten.
    Am Ende kommt wie immer die Zugabe. Bobby Bare sagt: »Wenn Dolly Parton jetzt nackt vor mir läge, ich müsste ihr leider einen Korb geben, weil ich jetzt nämlich die Zugabe für ein zauberhaftes Publikum spielen darf, und für dieses Publikum gebe ich einfach alles.« Wie kann man sich gegen die Zumutungen anders zur Wehr setzen als mit Sarkasmus?
    An einem wackligen Tisch kaufe ich seine neue CD und lasse sie mir durch ein betont krakeliges Autogramm entwerten.
    Bei einem dringend benötigten Tullamore Dew in der Ankerklause frage ich mich, ob das Mädchen, das Bobby Bare in »Painting Her Fingernails« so hinreißend besingt und das darauf wartet, dass irgendetwas passiert, im »West-Germany« an diesem Abend das gefunden hätte, wovon sie träumte. Vermutlich nicht. Aber wer kann das schon so genau wissen.

Zahnschmerzen
    Ich hole Nadja vom Flughafen Tegel ab. Sie kommt aus Wien und will sich ins Berliner Nachtleben stürzen. Sie sieht elend aus. Eigentlich so, wie man nach drei Tagen Durchfeiern aussieht. Nicht davor. Zahnschmerzattacken beuteln sie. Nadja gehört zu den Leuten, die Zahnärzte fürchten wie ein Bischof den Minirock und lieber auf eine Katastrophe zusteuern, statt
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