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Möbel zu Hause, aber kein Geld für Alkohol: Kreuzberger Szenen (German Edition)

Möbel zu Hause, aber kein Geld für Alkohol: Kreuzberger Szenen (German Edition)

Titel: Möbel zu Hause, aber kein Geld für Alkohol: Kreuzberger Szenen (German Edition)
Autoren: Klaus Bittermann
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schillernder die Legende, desto öder sieht es dahinter aus.



Zurück auf die Matratze
    Ich liefere Fup im Kinderladen ab, und damit habe ich auch bereits mein Arbeitspensum für diesen Tag erledigt. Da es noch früh ist, aber schon heiß und schwül, geht mir ein Reim von Wiglaf Droste durch den Kopf: »Was für ne Strapaze, schnell zurück auf die Matratze«. Reimt sich doch gar nicht richtig, werden Sie jetzt vielleicht einwenden, worauf ich Ihnen sage, man muss es wie gereimt lesen, dann erst entfaltet sich die Schönheit des Gedichts.
    Aber bevor ich zurück auf die »Matraaze« sinke, komme ich bei »Monsieur Ibrahim« vorbei, und da es bei ihm nun mal den besten Latte macchiato der Stadt gibt, bleibt mir gar nichts anderes übrig, als das Fahrrad abzustellen und zu verweilen. Außerdem muss ich gar nichts sagen, ich muss mich nur hinsetzen und schon kommt der Latte macchiato angeschwebt. Außerdem kann man hier in alle Ruhe Zeitung lesen, weil alle anderen Gäste auch Zeitung lesen und eher selten quatschen, jedenfalls nicht so früh am Morgen.
    Ich schlage eine nicht ganz so großformatige Zeitung auf und lese: »Mein Lieblingsfach an der Uni ist Massenvernichtung.« Ich wusste gar nicht, dass man das inzwischen auch studieren kann. Ich war da ja schon ewig nicht mehr. Aber inzwischen soll es ja sogar solche Fächer wie Kommunikationsdesign geben. Vielleicht also doch nicht so abwegig, denke ich. Dann fragt mich ein Autor: »Interessiert es uns, wie es den Muslimen in Deutschland nach dem Massaker von Oslo geht?« Nö, denke ich, nicht wirklich.
    Aber da gibt es ja noch meine andere, milde gestimmte, aufgeklärte, geduldige und verständnisvolle Stimme und die sagt mir, jetzt mal langsam, wer weiß, was das zu bedeuten hat. Vielleicht geht es den Muslimen in Deutschland ja wirklich schlecht, und was dann? Tja, keine Ahnung, denke ich, lese dann aber sicherheitshalber weiter. Man will ja schließlich nichts verpassen. Aber am Ende bin ich auch nicht schlauer, denn da heißt es: »Die einfache Frage, die seit elf Tagen niemand stellt, lautet: Mitbürger, die ihr euch als Muslime seht oder gesehen werdet – wie geht es euch?«
    Ich hatte nicht bedacht, dass über solche Fragen der Kaffee kalt wird. Jetzt wo der Kaffee kalt ist, kann ich auch gleich nach Hause radeln. Ich schwinge mich aufs Rad, aber das hat plötzlich einen Platten. Nur fünf Meter vor meiner in die Zeitung vertiefte Nase hat jemand das Ventil rausgeschraubt. Vielleicht ein Muslim, der meine Gedanken gelesen hat, denke ich. Quatsch, quatscht meine andere Stimme dazwischen, das war ein ganz normaler Idiot, wahrscheinlich irgendein Christ. Ein Christ? Wieso ein Christ?, frage ich mich von mir selber überrascht. Ist doch egal, antworte ich mir. Na dann, denke ich.
    Statt zur »Matraaze« muss ich mich zum nächsten Fahrradreparateur begeben, der aber noch nicht offen hat. Der nächste hat Sommerferien. Ich ächze und schiebe das Rad durch die schwärende Hitze. Fragt vielleicht mal jemand, wie es mir nach dem Massaker an meinem Fahrrad geht?

Die Gei hat alles unter Kontrolle
    Die Parterrewohnung neben dem Spätkauf, aus der mich die kleine schwankende und struppelige Frau mit den großen Zahnlücken um einen Euro anhaute, den ich »echt wieder zurückkriegen« sollte, wird gerade saniert. Ein Mann schiebt alte Bretter mit Nägeln aus dem Fenster, und drin ist viel Staub. Auf einem Zettel an der Scheibe steht eine Telefonnummer. Man kann jetzt die Wohnung als Büro anmieten, aber nicht als Kneipe. Der Zettel verrät nicht, was aus der Frau mit den großen Zahnlücken geworden ist.
    Wieder eine weniger, bei der es auffällt, dass sie nicht mehr da ist. Vielleicht fällt das auch nur mir auf, bei tausend anderen, die hier wohnen, würde es mir nicht auffallen, weil die alle einen Fahrradhelm aufhaben und weite erdfarbene dreiviertellange Hosen mit riesigen ausfaltbaren Taschen tragen, so dass man praktischerweise einen ganzen Truthahn reinstopfen kann. Wie will man die alle auseinanderhalten?
    Fup und ich sitzen vor dem »Casolare« und essen Nudeln. Fup ist sehr aufgeregt und sagt »Gei, Gei, Gei«. Ich drehe mich um. Hinter mir steht die Polizei, die ja schon viele Spitznamen hat, aber »Gei« höre ich das erste Mal. Die zwei Gei-Beamten sprechen nicht mit mir, sondern mit einer Gegensprechanlage: »Und er ist schon wieder weg? … Rufen Sie uns wieder an, wenn er wieder da ist.« Aha, ein Informant, denke ich. Sitzt hier mitten unter uns und
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