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Was uns nicht gehört - Roman

Was uns nicht gehört - Roman

Titel: Was uns nicht gehört - Roman
Autoren: Nagel , Kimche AG <Zürich>
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einen einzigen Punkt nach Hause gegangen.
    Mein Triumph war lächerlich, und doch fühlte ich mich nach dem Tischtennis besser. Ich ging heim und duschte, und als es später an meiner Tür klingelte, öffnete ich nicht. Sonja musste von der Straße aus das Licht in meiner Wohnung gesehen haben, aber sie beharrte nicht auf einem gemeinsamen Abend mit mir und zog weiter, ohne es ein zweites Mal zu versuchen. Später bereute ich meine Weigerung, ihr zu öffnen, und noch später rief ich sie an, aber ich bekam nur Sonjas Anrufbeantworter-Stimme zu hören, die mit lächerlich süffisantem Unterton verkündete, dass sie gerade anderweitig beschäftigt sei, dann kam der Pieps.
    Vielleicht, so dachte ich, hatte meine auf ein Viertel geschrumpfte Abfindung ja auch einen Sinn. So war ich wenigstens gezwungen, mich wieder ins wirkliche Leben einzuklinken, anstatt allmorgendlich zu Ei und Schinken den Enten beim Krieg zuzuschauen. Andererseits, warum sollte ich den Enten nicht beim Krieg zuschauen? Und was um alles in der Welt war überhaupt das richtige Leben? Möglicherweise das Kremers, das, verkabelt mit ein paar Maschinen, auf seine Basisfunktionen reduziert war und sich um nichts anderes kümmern musste, als diese am Laufen zu halten. Gleich am nächsten Tag, so nahm ich mir vor, würde ich ihn im Krankenhaus besuchen, aber als ich am Morgen aufwachte, hatte ich grässliche Kopfschmerzen. Ich mühte mich aus dem Bett und stellte mich eine halbe Stunde ans offene Fenster, eine Therapie, die ich von Sonja kannte und die noch nie bei mir gewirkt hatte. Draußen kündigte sich ein blauer Septembertag an, ein paar Frühmenschen eilten durch die Straßen, und ich stellte mir vor, wie mein Vater noch immer in Decken gehüllt auf seinem Balkon saß und die Welt grüßte, die Welt und Pschorri, der unten im Park vorüberlief und zu ihm hinaufbellte, genau so, dachte ich, müsste Sterben sein.
    Ich loggte mich in mein Bankkonto ein und war nicht weiter verwundert, dass meine Augustüberweisung nicht eingegangen war. Stattdessen gab es ein paar Abbuchungen, die ich nicht mehr im Blick gehabt hatte, so dass sich mein aktueller Puffer auf 107,35 Euro belief. Dazu mein Dispokredit in Höhe von zweitausend Euro, ein Limit, das ich bislang noch nie hatte ausschöpfen müssen. Zum ersten Mal seit meiner Kündigung bei Walter & Kremer kaufte ich mir ein paar Tageszeitungen mit Stellenmarkt, aber kein Unternehmen suchte auch nur etwas Ähnliches wie einen Buchhalter. Eines immerhin zeigte sich interessiert an «kreativen Zahlenmenschen», doch als ich dort anrief, geriet ich in eine kostenpflichtige Warteschleife, die nichts anderes im Sinn hatte, als meinen Puffer weiter zu drücken, ich legte auf und warf die Zeitungen ins Altpapier.
    Sonja hatte das alles kommen sehen. Als sie am nächsten Abend klingelte, ließ ich sie herein, und nachdem wir miteinander geschlafen hatten, erzählte ich ihr von meiner prekären Lage. Eigentlich hatte ich über all das kein Wort verlieren wollen, aber Sonja hatte mich auf die Nase zu gefragt, ob ich Sorgen hätte. Das tat sie immer, wenn mein Schwanz nur sehr zögerlich auf ihre Liebkosungen reagierte, und obschon ich jedes Mal hoffte, dass unser Sex ihre Erinnerung daran wegwischen möge, tat er es nie. Nicht dass mich meine mühevollen Erektionen über die Maßen erschütterten, es war das Seismographische an meinem Geschlecht, das ich hasste. Was kümmerte es meinen Schwanz, wie es mir ging, und vor allem: Warum musste er es so unverblümt in die Welt hinausposaunen?
    Sonja sagte, ich solle sofort zu meinem Anwalt gehen, bei so etwas müsse man schnell sein.
    «Irgendwas ist immer noch da», sagte sie, «aber wenn du ganz hinten in der Schlange stehst, ist der Drops gegessen, bis du dran kommst.»
    «Gelutscht.»
    Sonja sah mich fragend an.
    «Geluscht», wiederholte ich, «es heißt geluscht, der Drops ist gelutscht.»
    Sonja setzte sich auf und zog die Bettdecke bis knapp unter ihre Brüste. Sie waren groß und schwer, wie alles an ihrem Körper, aber im Gegensatz zum Rest hatten sie mich immer ein wenig eingeschüchtert.
    «Sag mal», sagte sie, «ist das eigentlich dein Ernst? Ich versuche hier mit dir über deine finanziellen Probleme zu reden, und das Einzige, was dich interessiert, ist, dass ein Drops gelutscht und nicht gegessen wird.»
    «Ja», erwiderte ich, «ich meine nein. Ich hätte dir das alles gar nicht erzählen sollen.»
    «Hast du aber, und sag mir jetzt nicht, dass du keinen Anwalt
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