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Was uns nicht gehört - Roman

Was uns nicht gehört - Roman

Titel: Was uns nicht gehört - Roman
Autoren: Nagel , Kimche AG <Zürich>
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wieder für kurze Momente lächelte. Einmal winkte er jemandem zu oder winkte ins Nichts, ich konnte es von meinem Platz nicht sehen. Auch ich lächelte von Zeit zu Zeit oder bildete mir ein zu lächeln, eine seltsame, nein: eine seltene Rührung breitete sich in mir aus, so hatte ich meinen Vater noch nie gesehen, nach fünfundvierzig Minuten stand ich auf und ging.
    In der Stadt traf ich auf Loos. Er trug ein kurzärmeliges Hemd und kurze Hosen in sommerlichen Farben, sah ansonsten aber ziemlich blass aus.
    «Du weißt es schon, oder?», sagte Loos.
    Er hatte mich von der anderen Straßenseite aus erkannt und war ohne Umschweife auf mich zugestürmt. Auf seiner Oberlippe standen ein paar Schweißperlen, und obwohl es noch nicht einmal ein Uhr war, hatte ich den Eindruck, dass Loos getrunken hatte.
    «Nein», erwiderte ich, «was denn?»
    Loos nickte und zog ein wenig asthmatisch Luft ein. Dann schlug er sich urplötzlich die Hände vors Gesicht und begann zu zittern.
    «Mensch, Loos», sagte ich und legte meine rechte Hand auf seine Schulter, zog sie aber sofort zurück, als ich die warme Feuchte seines Körpers durch den Stoff seines Hemdes spürte.
    «Kremer», sagte Loos schließlich, «er ist am Ende.»
    «Kremer?»
    «Die Firma, alles vorbei, gestern war unser letzter Tag.»
    Loos ließ seine Hände sinken und setzte sich auf ein nahes Mäuerchen. Gänzlich ungeniert zog er ein kleines Fläschchen Schnaps aus seiner Hosentasche und leerte den Rest darin in einem Zug.
    «Ach, komm», erwiderte ich, ohne recht zu wissen, was ich damit sagen wollte. Vielleicht: «Ach, komm, Kremer wird die Kurve schon kriegen», oder: «Ach, komm, du bist doch noch jung», aber Loos war nicht mehr jung, und daran, dass Kremer noch einmal die Kurve kriegen würde, glaubte ich in Wahrheit auch nicht.
    «Du hast es gut», sagte Loos in die Stille, die kurz, aber schwer über uns gefallen war, «du hast wenigstens noch eine fette Abfindung kassiert, jetzt ist der Topf leer.»
    Ich spürte, wie sich ein paar Krallen in meine Brust bohrten. Mir war nicht klar, wer Loos von meiner Abfindung erzählt hatte, ich jedenfalls nicht, aber das war es nicht, was mich aus seinen Worten ansprang. Anders als von Kremer angekündigt, hatte ich mein Geld nicht auf einen Schlag ausgezahlt bekommen, sondern in Raten zum Monatsende. Das war mir bislang durchaus recht gewesen, und ich hatte keinen Grund gesehen, Kremer an unsere Abmachung zu erinnern. Ich bezog acht Monate weiter mein reguläres Gehalt, und auch wenn ich mir damit kaum einreden konnte, noch immer bei Walter & Kremer im Brot zu stehen, gaben mir die Überweisungen am Monatsende ein gutes Gefühl. Genaugenommen war es bislang nur eine gewesen, die für Juli, mein Augustgeld stand noch aus, und das, obwohl die ersten beiden Septemberwochen schon fast vorüber waren.
    «Kremer», sagte Loos, «hat sich erst einmal mit einem Herzinfarkt ins Krankenhaus gelegt. So geht’s natürlich auch.»
    «Ja, ja», erwiderte ich ein wenig abwesend, «so geht’s auch», und überschlug in Gedanken den Puffer, den mein Konto noch aufweisen musste, ein Puffer, der sich vermutlich im niedrigen dreistelligen Bereich bewegte. Selbst bei kärglichstem Haushalten würde mich das kaum zwei Wochen weit bringen.
    «Ach, Epkes», flüsterte Loos neben mir, «wenn ich meine Frau nicht hätte, säße ich jetzt ganz schön in der Scheiße.»
    Ich sah Loos an und glaubte mich zu erinnern, dass seine Frau Richterin am Landgericht war, und obwohl ich mich in den Besoldungsklassen an deutschen Gerichten nicht auskannte, war ich mir sicher, dass die Familie Loos nie in ihrem Leben würde Hunger leiden müssen. Sie hatten einen Bungalow am Stadtrand und zwei wohlgeratene Töchter, die, soweit ich wusste, lange schon auf eigenen Füßen standen. Auf die Schnelle dichtete ich noch zwei Reitpferde und ein Segelboot dazu, und Loos begann mich mit seiner Jammerei auf offener Straße anzuwidern. So sehr, dass ich sogar vergaß, mich in kommunistische Gedanken zu flüchten. Stattdessen ließ ich Loos ohne ein weiteres Wort stehen und ging zum Jedermann-Tischtennis, wo ich zwei Anfängern eine Abreibung verpasste, die sich gewaschen hatte. Keiner der beiden brachte auch nur eine Angabe von mir zurück auf die Platte, ganz zu schweigen von meinen Returns, die wie weiße Striche an ihren hilflosen Armen vorbeirauschten, und hätte ich dabei nicht im Übereifer den einen oder anderen Flüchtigkeitsfehler gemacht, sie wären ohne
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