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Was uns nicht gehört - Roman

Was uns nicht gehört - Roman

Titel: Was uns nicht gehört - Roman
Autoren: Nagel , Kimche AG <Zürich>
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oder konnten, so leicht war das nicht auseinanderzuhalten.
    In der Tat bemühte ich mich, es Sonja gleichzutun und andere Frauen anzusprechen, aber all meine Versuche waren so hölzern, dass ich es nicht schaffte, auch nur eine einzige zu einer gemeinsamen Tasse Kaffee zu überreden. Eine immerhin meldete sich am Tag darauf, um sich mit mir zum Spazierengehen zu verabreden, aber als ich begriff, dass sie mich nur aus Mitleid angerufen hatte, gab ich vor, krank zu sein, und legte auf.
    Ich versuchte, meinen Tagen eine Struktur zu geben, und vermied es, länger als neun Uhr zu schlafen. Neun Uhr, so schien es mir, trennte die Ausgeruhten von den Hoffnungslosen, und ich hatte nicht vor, mich allzu leichtfertig in die falsche Schlange einzureihen. Obwohl es mich jedes Mal 7,50 Euro kostete, frühstückte ich regelmäßig im Café. Das, so fand ich, gab meinem Leben eine gewisse Größe. Zudem achtete ich darauf, jeden Morgen ein frisches Hemd anzuziehen, das ich jeweils am Abend zuvor während der Tagesschau bügelte. Wer mich nicht kannte, musste mich für einen Schriftsteller oder einen Künstler oder wenigstens für einen Privatier halten.
    Ich wählte für mein regelmäßiges Frühstück ein Café, in dem ich nie zuvor gewesen war. Vielleicht war das Hornstein nicht von der Sorte, in der Schriftsteller, Künstler und Privatiers verkehrten, aber nicht zuletzt deshalb hatte ich es gewählt. Schon nach wenigen Tagen genoss ich eine gewisse Prominenz und bekam mein Frühstück serviert, ohne es eigens bei der Bedienung bestellen zu müssen. Mehr noch: Ab der zweiten Woche war auf zehn Uhr für mich gedeckt, ein Tisch am Fenster mit Blick in den Garten, in dem sich ein paar Enten an einem Teich langweilten und auf ihren Futtermeister warteten, einen Vietnamesen aus der Küche, der pünktlich um elf einen Eimer mit Essensresten zwischen sie kippte und so Leben in ihr Gefieder pumpte.
    Bis zu meinen Frühstücksbesuchen im Café Hornstein hatte ich Enten immer für liebenswerte und zivilisierte, an manchen Tagen gewiss sogar für süße Geschöpfe gehalten, nun wusste ich es besser. Sie fielen über die Essensreste her, als gäbe es kein Morgen, und hieben mit ihren Schnäbeln auf alles ein, was ihnen dabei in die Quere kam. Der Vietnamese schaute dem Treiben eine Weile ungerührt zu, bevor er den Eimer stets auf die gleiche Weise gegen seine Brust drückte und wieder in der Küche verschwand. Schnell hatte ich raus, welche der Enten mehr vom Essen abbekamen und welche hungrig auf den nächsten Morgen warten mussten, einen Morgen, der sie wieder nicht satt machen würde. Ich hatte ein paar kommunistische Gedanken, wie sie mir öfter in den Sinn kamen, wenn ich mich mit der Ungerechtigkeit der Welt konfrontiert sah. Beim Anblick von Windhunden etwa oder wenn ich in einer Zeitschrift etwas über Strandbars auf Sylt las, aber allermeist lösten sich solche Anflüge rasch in Wohlgefallen auf. Wie auch der Krieg der Enten, der keine fünf Minuten dauerte. Dann war der Inhalt des Eimers vertilgt, und die alte Langeweile kehrte an den Teich zurück, ich zahlte und ging.
    Zweimal in der Woche besuchte ich nach dem Frühstücken meinen Vater. Obwohl das Pflegeheim am anderen Ende der Stadt lag, ging ich zu Fuß. Aus dem müden Juli war längst ein heißer August geworden, und weil ich ein bisschen in Form bleiben wollte, war mein Hemd regelmäßig völlig durchgeschwitzt, wenn ich bei meinem Vater ankam. Er sah mich und freute sich, wie er sich über ein Stück Birne oder einen Löffel Hustensirup freute, da machte er keine Unterschiede. Ich versuchte mir einzureden, dass mein Vater im tiefsten Inneren vielleicht doch noch irgendwelche Erinnerungen an mich aufbewahrte. Etwa die an unsere einzige gemeinsame Zelttour im Harz oder daran, dass wir einmal zusammen im Schwimmbad vom Fünfmeterturm gesprungen waren und der Bademeister uns dafür noch im Becken zusammengestaucht hatte. Und wenn nicht daran, dann an irgendetwas anderes, an einen Streit, an eine Ohrfeige, von mir aus sogar daran, dass ich ihn kurz vor meinem Auszug einmal einen «Vaterarsch» oder einen «Arsch von Vater» genannt hatte, ich selbst erinnerte mich nicht mehr so genau.
    «Sehen Sie es so», hatte Dr. Janson, der Heimarzt, ein warmherziger Mann um die fünfzig, einmal zu mir gesagt, «er hat allen Ballast abgeworfen, er braucht nichts mehr davon», und so sehr mir sein Bild meines ganz leicht gewordenen Vaters gefallen hatte, so wenig war ich bereit, mich damit
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