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Getrieben: Thriller (German Edition)

Getrieben: Thriller (German Edition)

Titel: Getrieben: Thriller (German Edition)
Autoren: Christopher REICH
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Prolog
    Oberhalb von Camp 4
Tirich Mir
Im Nordwesten Pakistans
30. Mai 1984
    »Hörst du das auch?«
    Der Bergsteiger rammte sein Eisgerät tief in den Schnee, hob den Kopf und lauschte.
    »Was denn?«, wollte sein Begleiter wissen, der sich ein Stück weiter unten eng an die fast senkrechte Felswand drückte.
    »Hörte sich an wie ein Schrei.« Angestrengt versuchte Claude Brunner, der mit seinen zweiundzwanzig Jahren als bester Bergsteiger Frankreichs galt, das schrille Geräusch im heulenden Wind zu lokalisieren. Es schien sich aus großer Entfernung zu nähern. »Es kommt von dort!«
    »Ein Schrei?«, erkundigte sich der zehn Jahre ältere Spanier Castillo. »Von einem Menschen?«
    »Ja, wie ein Schrei«, erwiderte Brunner. »Aber nicht von einem Menschen. Das Geräusch klingt anders … lauter.«
    »Lauter? Hier oben?« Ungläubig schüttelte Castillo den Kopf, sodass ein paar dicke Schneeflocken aus seinem Bart stoben. »Ich höre überhaupt nichts. Du bist erschöpft. Wahrscheinlich bildest du dir das nur ein.«
    Der Wind ließ ein wenig nach. Brunner lauschte erneut. Doch außer dem Pochen seines Herzens hörte er nichts. Trotzdem hallte ihm das unheimliche Jaulen noch immer in den Ohren. Er spürte, wie ihm die Angst in den Nacken kroch.
    »Wie viele Stunden hast du letzte Nacht geschlafen?«, wollte Castillo wissen.
    »Überhaupt nicht.«
    »Siehst du? Alles nur Einbildung. Hier oben fegt einem ständig der Jetstream um die Ohren. Das macht einen verrückt.«
    Brunner drehte eine Schraube ins Eis und befestigte das Sicherungsseil daran. Castillo hatte recht. Er war müde. Erschöpft bis auf die Knochen. Sie waren um zwei Uhr morgens vom siebentausenddreihundert Meter hoch gelegenen Camp 4 aufgebrochen und hatten für die Flanke acht Stunden gebraucht. Keine schlechte Leistung, aber der Aufstieg hatte länger gedauert als geplant. Der Amerikaner, der zwei Stunden vor ihnen losgegangen war, um Fixseile zu verhängen und die Route zu sichern, hatte einen beachtlichen Vorsprung.
    Brunner warf einen Blick in die Tiefe. Sechs angeseilte Bergsteiger kämpften sich die Wand hinauf. Mit ihren bunt leuchtenden Anoraks erinnerten sie an eine nepalesische Gebetsfahne. Der rote Anorak gehörte dem Italiener Bertucci, der blaue dem Engländer Evans, der gelbe dem Japaner Hamada. Die anderen kamen aus Deutschland, Österreich und Dänemark.
    Ihre Expedition nannte sich »Klettern für den Weltfrieden« und wurde von der UNO gesponsert, aber die Idee ging zurück auf die Reagan-Administration und war auch von Margaret Thatcher unterstützt worden. Es war eine medienwirksame Aktion gegen den einhunderttausend Mann starken sowjetischen Einmarsch in Afghanistan. Jenseits der nächsten Bergkette, keine hundertsechzig Kilometer von ihnen entfernt, hatten die Sowjets den afghanischen Ministerpräsidenten ermordet, die Regierung gestürzt und einen ihrer Handlanger an die Spitze gesetzt, einen skrupellosen Diktator mit Namen Babrak Karmal.
    Brunner richtete den Blick nach oben. Hoch über ihm tauchte gerade das letzte Mitglied der Expedition aus dem Schatten eines gigantischen Séracs auf. Der Amerikaner.
    »Der legt ja ein Wahnsinnstempo vor«, stellte Castillo besorgt fest. »Der Schnee da oben ist tückisch. Bei unserer letzten Tour haben wir genau an dieser Stelle zwei unserer Leute verloren.«
    »Vielleicht will er so etwas wie einen persönlichen Rekord aufstellen«, mutmaßte Brunner.
    »Uns geht es aber nur darum, heil auf den Berg und wieder zurück zu kommen.«
    Über den zerklüfteten Gipfeln des Hindukusch strahlte ein wolkenloser blauer Himmel. Der Wind pfiff ihnen noch immer mit rund fünfzig Stundenkilometern um die Ohren, hatte hier oben aber deutlich an Heftigkeit eingebüßt und setzte ihnen nicht mehr so zu wie in den vergangenen zwei Wochen. Optimale Bedingungen also für den Gipfelangriff.
    Brunner wollte gerade eine weitere Stufe ins Eis schlagen, als ein Schrei an seine Ohren drang, der keinerlei Ähnlichkeit mit dem schrillen Jaulen von vorhin hatte. Es war ein ganz anderer, beängstigend vertrauter Laut.
    Als Brunner zum Gipfel blickte, sah er, wie die dunkle Gestalt des Amerikaners sich im Schnee überschlug und den Hang hinunter auf sie zu stürzte.
    »Schlag noch eine Sicherungsschraube für mich ein«, rief Brunner Castillo zu. »Ich muss versuchen, ihn aufzuhalten!«
    »Das ist Selbstmord!«, rief Castillo zurück. »Entweder tötet er dich beim Aufprall, oder er reißt uns beide mit in die
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