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Was scheren mich die Schafe: Unter Neuseeländern. Eine Verwandlung

Was scheren mich die Schafe: Unter Neuseeländern. Eine Verwandlung

Titel: Was scheren mich die Schafe: Unter Neuseeländern. Eine Verwandlung
Autoren: Anke Richter
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zwischen den Andenkenläden mit Lammfellstiefeln und Jadekitsch. Ein Mann im abgewetzten Cordjackett hat die Arme um zwei andere Schultern gelegt und die Augen halb geschlossen. Der Chor um ihn herum wird lauter, aber der Urologe singt nicht mit. Nur seine Lippen bewegen sich etwas. Der Mund geht einmal kurz auf. Fast wäre ihm ein Ton aus der Brust entfahren. Aber er ist noch nicht so weit. Erst in der nächsten Runde.

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    Die Gedanken sind frei
    (Letzte Zugabe)
    DER SAAL DER Christchurch Town Hall ist gut gefüllt. Gigantische Kugellampen aus den Siebzigerjahren schaukeln über Lukas, Jakob, Otto und mir. Die Wände sind holzgetäfelt, die Stimmung festlich. 131 Menschen sitzen in den Reihen vor und hinter uns. Manche tragen Saris oder afrikanische Gewänder, viele Anzüge oder ihre besten Kleider. Dass es 131 Menschen sind, weiß ich aus der Broschüre, die ich in der Hand halte. »Citizenship Ceremony« steht darauf.
    Heute werden wir eingebürgert, so wie all die anderen auf der langen Liste in dem Heftchen. Wir sind Nr. 118, 119 und 120 – die einzigen Deutschen, und demnächst mit Doppelpass. Der Rest der neuen Landsleute kommt aus Samoa, Bahrain, Irak, England, Fidschi, Korea, Südafrika, Zimbabwe, Kanada, China, Indien, Russland, Taiwan, Sri Lanka, Malaysia, Holland, Äthiopien, Schweden, Tonga, Singapur, Irland, Rumänien, Amerika und den Philippinen. In der Einladung zu der Zeremonie wurden wir ermuntert, doch in der Tracht unserer Heimat zu kommen. Das fand Jakob gut. Er trägt sein Fußballtrikot.
    Wir stehen alle auf. Gemeinsam sprechen wir den Eid auf das neue Vaterland und die englische Königin. Ab sofort sind wir Untertanen der Queen. Der Spruch endet mit »So wahr mir Gott helfe«. Für die Nichtgläubigen gibt es das Ganze noch mal auf atheistisch, immerhin gehören wir jetzt zum säkularsten Land der Welt. Dann tritt eine schwergewichtige Maori-Tanztruppe auf, die sehr schön singt, klatscht und stampft. Ich habe einen Kloß in der Kehle. Wer hätte gedacht, dass mir das so nahegehen würde, nach all dem elenden Papierkram? Auch Lukas ist gerührt, das merke ich. Er zischt mir nur ein einziges Mal etwas Sarkastisches ins Ohr. Irgendwas über die tiefere Symbolik des Leibesumfanges der Tänzer und dass Übergewichtige in Neuseeland nicht mehr einwandern dürfen. Aber sonst verhält er sich ruhig.
    Wie damals bei der Abiturfeier werden wir einzeln mit Namen aufgerufen und müssen auf die Bühne kommen. Und genau wie damals bin ich sehr viel aufgeregter, als es meine offizielle Nonchalance gegenüber staatstragenden Angelegenheiten eigentlich erlaubt. Nr. 11 ist Mr. Koneferenisioletasiivafituono Falemoe aus Samoa. Nr. 126 Mrs. Samaraweera Gamaralalage Anuja Thusari Samaraweera aus Sri Lanka. Für diesen Zungenbrecher, fehlerfrei vorgetragen, bekommt der Ansager Zwischenapplaus.
    Unser Bürgermeister ist neu im Amt. Er ist reizend. Er überreicht Lukas und mir eine Urkunde, schüttelt unsere Hände, macht ein Scherzchen über Otto, den gebürtigen Kiwianer. »Made in New Zealand« sei unser Kind, und dafür gibt’s ein Täfelchen Schokolade mit dem Schriftzug »Christchurch«. Entzückend! Der Festfotograf der Stadtverwaltung schießt ein Familienfoto. Als Gruß aus der neuen Heimat händigt der Bürgermeister uns zwei Bäumchen zum Einpflanzen aus. Einheimische Pittosporums.
    Die Parade der Urkundenempfänger geht weiter. Zwischendurch betont unser neuer Bürgermeister immer wieder, wie glücklich er sei, dass wir Menschen aus den fernen Ländern jetzt hier seien. Das sei wunderbar. Er meint es ehrlich. Er strahlt uns alle an. »Wir wollen feiern, was Sie mitbringen! Sie bereichern unsere Stadt und unser Land mit Ihrer Herkunft, Ihrer einzigartigen Kultur.« Mir geht das Herz auf und macht einen Freudensprung: Jawohl, Herr Bürgermeister!
    Wir singen die Nationalhymne auf Maori und verlassen den Saal mit Pflanzentöpfen und Staatsbürgerschaftsurkunde. Am Ausgang steht ein Mitarbeiter der Stadtverwaltung, der uns zu Schnittchen und Gebäck in den Nebensaal einlädt. Er hält noch mehr von den Broschüren in der Hand.
    »Sehen Sie das?«, frage ich ihn und tippe auf den Umschlag. Er lächelt mich verständnislos an. Ich lächle zurück. »Das Datum ist falsch. Da steht 2009 statt 2010. Ein Druckfehler.«
    »Ach«, sagt er ohne sichtbare Regung, »na so was. Sie sind die Erste, der das auffällt.«
    Klar. Wir sind ja auch die einzigen Deutschen im Saal. Die Worte
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