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Was scheren mich die Schafe: Unter Neuseeländern. Eine Verwandlung

Was scheren mich die Schafe: Unter Neuseeländern. Eine Verwandlung

Titel: Was scheren mich die Schafe: Unter Neuseeländern. Eine Verwandlung
Autoren: Anke Richter
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verdammt diskret ist. Aber Hauptsache, ihr geht’s gut dabei.
    Am Tresen steht ein junger Mann. Blonde Locken, Surferfrisur. Das ist doch Baxter, unkostümiert und in Tevasandalen. Wie hat der sich nur hierher verirrt? Ich habe ihn Ewigkeiten nicht gesehen, seit er die Renovierungsshow in Auckland gedreht hat. Lukas sagt, er baue jetzt Ökosärge aus recycelter Kauri. Und war da nicht irgendeine neue Freundin, diesmal aus Hamburg?
    Er prostet mir zu und stellt sie mir vor: Regina, stilsicher gekleidet und ziemlich verspannt. Sie schüttelt mir energisch die Hand. So gequält, wie sie hinter ihrer weinroten ›Ich-trage-nur-bestes-Design-im-Gesicht‹-Brille guckt, muss sie hin- und hergerissen sein zwischen Peinlichkeit und tiefer Reue. Wahrscheinlich hat ihr neuer Freund sie zum ›German cultural evening‹ überredet. Baxter strahlt uns an und zupft an Ottos Perücke.
    »Hey, ist das nicht fantastisch?« Er knufft mich gut gelaunt in die Seite. »Toll, wie ihr Deutschen feiern könnt. Was für eine Stimmung!« Er ist aufrichtig angetan von der Zombieveranstaltung. »I love that music!«
    Reginas Gesicht wird noch eine Spur spitzer hinter ihrem Kastengestell. Sie tut mir leid. Fremdschämen ist ein furchtbares Übel. Ich habe viel zu lange darunter gelitten. Endlich nimmt die Heilung ihren Lauf. Ich greife mir einen ›funny hat‹ vom Nachbartisch, setze ihn Baxter auf und nehme mir vor, ihm unbedingt ein Exemplar von Dietmar Sägels Nackedei-Buch zu schenken, mit persönlicher Widmung des Autors.
    Die Bläck Fööss schallen durch den Saal, »Mer losse d’r Dom en Kölle«. Otto horcht auf. Das Lied kennt er von einer Schallplatte bei seinen Großeltern. Er strahlt mich an. Irgendetwas ergreift Besitz von mir, das stärker ist als sämtlicher intellektueller Widerstand gegen meine ausgelassenen Landsleute. Es fährt mir in die Glieder, es fährt mir ins Herz, und es fährt mir aus der Kehle. Als ob sich etwas befreit, das zu lange unterdrückt wurde. Lauthals singe ich mit: »Wat soll er denn woanders …« – »dat mäht doch keine Sinn«, grölt neben mir Eva, die etwas streng nach Öllich riecht. Auch bei ihr muss etwas in Gang gekommen sein. Wer hätte das hinter der Skibrille vom Köllegirl vermutet! Das muss es sein, wovon mein Guru Haki Waiomio gesprochen hat. Was habe ich ihn um die Verbundenheit mit den alten Riten, mit den Tänzen und Liedern seiner Vorfahren beneidet. Jetzt spüre ich endlich auch so etwas wie den Geist meiner Ahnen. Er ist beim Schunkeln in mich gefahren.
    Otto fallen am Tisch fast die Augen zu. Er ist vor seiner Limo zusammengesunken. Eva drängt zum Aufbruch, und ich habe einiges zu verarbeiten. Wir sind ja nicht nur zum Spaß hier. Wunden müssen sich schließen. Ich greife mein Kind und die Piratenmaske. Irgendwann muss ich sie in dem Trubel nach der zweiten Flasche Sekt ausgezogen haben. Jetzt ist es auch egal, wenn man uns hier erkennt. Ich habe nichts mehr zu verbergen.
    Pünktlich um elf Uhr elf, als sich auf der anderen Seite der Erdkugel der Rosenmontagszug in Bewegung setzt, treten wir aus dem Club auf die Straße. Es ist dunkel, die Luft spätsommerlich lau. Wir glühen vom Schunkeln und vom Singen. Die Lichter von Christchurch funkeln. Eva legt den Kopf in den Nacken und schwankt etwas. Sie studiert den Sternenhimmel.
    »Guck mal, das Kreuz des Südens«, sagt sie und zeigt nach oben. »So schön.«
    Aus dem Vereinssaal dröhnt Musik, ›Schnaps, das war sein letztes Wort, dann trugen ihn die Englein fort‹. Himmlisch. Selten habe ich mich so eins gefühlt mit dem Kosmos und den Kontinenten. In der letzten Stunde hat sich ein kleines Wunder in mir vollzogen. Das haben die anderen Deutschen während der letzten Fußballweltmeisterschaft durchgemacht. Leider habe ich die Katharsis damals im Ausland verpasst, all die Ausgelassenheit, Gesichtsbemalung und Völkerverständigung. Aber jetzt wird aufgeholt, mit ganz viel Häätz und Tätärätää. Hätte ich ein Deutschlandfähnchen, dann würde ich statt meines Autos auf der Stelle meine angekratzte Immigrantenseele damit dekorieren. Frieden macht sich in meinem Innern breit. Oder Sekt. Ich ziehe Otto an mich, der gähnt. Seinen Hexenbesen hat er irgendwo verloren.
    »Niemals geht man so ganz«, summt Eva, und fast so schön wie Trude Herr.
    »Sag mal, Eva«, ich lalle ein wenig, »bleiben wir hier?«
    Sie hat mich ganz richtig verstanden.
    »Klar bleiben wir hier. Aber bring mich erst mal nach Hause, falls du noch
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