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Was scheren mich die Schafe: Unter Neuseeländern. Eine Verwandlung

Was scheren mich die Schafe: Unter Neuseeländern. Eine Verwandlung

Titel: Was scheren mich die Schafe: Unter Neuseeländern. Eine Verwandlung
Autoren: Anke Richter
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fahren kannst.«
    Der Glanz in ihren Augen stammt nicht nur vom Sekt. Irgendetwas in ihrem Blick erinnert mich an das Abschiedslagerfeuer bei unserem Maori-Bootcamp. Einen Moment zögert sie, dann rutscht es ihr raus.
    »Claude wartet nämlich schon.«
    Ich reagiere wohl zu langsam. Sie strahlt mich an, erleichtert und glücklich.
    »Anke, ich bin total verliebt. Es ist einfach nur … so völlig neu.«
    Auf dem Rückweg geraten wir vor dem Tunnel nach Lyttelton in eine Alkoholkontrolle.
    »Bullen«, stöhnt Eva, als sie den Polizeiwagen sieht. Mist! Wie viele Gläser habe ich gekippt? Hätte ich doch bloß einen ganzen statt eines halven Hahns gegessen, um die Promille zu verdauen. Und die Offenbarung meiner Freundin wirkt noch mal wie ein Klarer obendrauf. Der Beamte steht vor dem Autofenster und gestikuliert. Ich soll es öffnen.
    »Mach einen auf Touristin«, zischt Eva, »damit kommt man durch.«
    Touristin? Deutsche Touristin?! Das bringe ich nicht fertig. Aber ich muss. Nicht nur wegen drohenden Führerscheinentzugs. Es geht um Höheres. ›Don’t just talk the talk‹, hatte Haki Waiomio gesagt, ›but walk the walk.‹ Setze um, was du gelernt hast. Schluss mit der Scham. Ich lasse das Fenster herunter gleiten. Der Beamte schaut mich freundlich und fragend an.
    »Gut ihwenink«, begrüße ich ihn. Dicker kann man keinen deutschen Akzent auflegen. Es tut mir fast körperlich weh. Ein Lächeln huscht über das gutmütige Gesicht unter der Polizeikappe.
    »You girls are on holidays?«
    O Wunder, es hat gewirkt – wir bekommen nicht nur den Frauen-, sondern den Ausländerbonus.
    »Und, wie gefällt euch Neuseeland?«, fragt der Polizist noch, als er uns bereits weiterwinkt. Zum ersten Mal habe ich darauf keine Antwort. Das Fenster schließt sich.
    »Alaaf!«, ruft Otto von hinten. Ich fahre los.

      [Menü]      
    Gute Freunde kann niemand trennen
    (Erste Zugabe)
    EIN MORGEN IM späten Juni. Es ist zwei Uhr früh. Christchurchs Straßen sind dunkel, nass und winterkalt. Ganz Neuseeland liegt im Bett. Ganz Neuseeland? Nein, es gibt eine kleine Enklave der Tapferen. Die Harten, die sich den Schlaf verkneifen, die Nacht dem Großbildschirm schenken und tagsüber den Fußballgott in Südafrika einen guten Mann sein lassen. Die Leiderprobten, die 23 Flugstunden, Zwischenstopp Dubai, Thrombosegefahr und vier Bordfilme nicht gescheut haben, um einst an diesen fernen Ort zu kommen. Aotearoa übersetzen sie mit Kickerdiaspora.
    Echte Sportsfreunde lassen sich von Zeitzonen nicht unterkriegen. Sie haben Erkundigungen nach Live-Übertragungen bei anderen Fans eingeholt, denn Wiederholungen zählen nicht. Deutscher Klüngel hin oder her – hier geht es um Höheres. Ums Viertelfinale. Manche haben Trikots beim einzigen ›German Imports‹-Autohändler der Stadt erstanden. Das macht sie alle gleich, die Birkenstock- wie die Anzugträger. Äußerlichkeiten zählen in diesen Tagen nicht mehr. Sie haben sich die Krümel aus den Augen gerieben, Wetterjacken über die Pyjamas gestreift und sich in die einzige zu dieser Stunde offene Kneipe geschleppt. In Jägi’s Brauhaus hocken sie vereint beim melittagefilterten Kaffee vor Sky TV . Ihr Doping ist Brötchen mit Thüringer Sülze. Ab jetzt gibt es nur noch Schmerz und Wonne. Steh auf, wenn du für Deutschland bist? Steh einfach früh auf.
    Der Wirt spendiert eine Runde Bier zum Frühstück. Auf seinem T-Shirt steht ›We lost the World War – We’ll win the World Cup‹. Seitdem seine Videoclips bei YouTube laufen, hat er einen eigenen Fanclub. Vor allem Engländer feiern Jägi, »the meister«. Morgen startet seine Talkshow beim Lokalsender CTV . Die ersten Studiogäste bei ›The Sour Kraut‹ sind eine Fotografin, die eine Kunstaktion mit Berliner Straßentauben plant, und eine Tantra-Therapeutin für Vegansexuelle.
    Das Spiel ist vorbei. Es dämmert. Die Straßen sind noch immer menschenleer, nur ein paar Autos fahren durch die Nässe. Aus dem Bierlokal wanken übernächtigte Gestalten und schützen sich unter der blauweiß karierten Markise vor dem Nieselregen. Dann setzt sich der Tross in Bewegung. Er zieht an geschlossenen Geschäften vorbei Richtung Kathedrale. Eine kleine Karawane der Heimatlosen, die Arme verhakt, Regentropfen im Gesicht – schwankend, strahlend, harmlos und glücklich.
    »Deutschland, Deutschland!«, ruft einer, und die anderen fallen mit ein. Sie lachen. Sie johlen. »Schla-hand, Schla-hand, Schla-hand!« Der Jubel verhallt
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