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Was scheren mich die Schafe: Unter Neuseeländern. Eine Verwandlung

Was scheren mich die Schafe: Unter Neuseeländern. Eine Verwandlung

Titel: Was scheren mich die Schafe: Unter Neuseeländern. Eine Verwandlung
Autoren: Anke Richter
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indem wir uns in die Höhle des Löwen begeben. Es sind noch ein paar Wochen bis Rosenmontag. Zeit, über Kostüme nachzudenken. Zum Glück bin ich längst Profi.
    Als ich Claude simse, dass ich mit Eva auf Verkleidungssuche gehe, will sie mitkommen. Ich hätte nie vermutet, dass ihr so etwas Spaß macht. Gut sieht sie aus, als ich sie vor dem Szenecafé einsammele. Leuchtend und voller Elan. Kaum ist Claude ins Auto gestiegen, denkt sie laut über eine neue Straßenkunstaktion nach. Sie soll ›Hi, how are you‹ heißen.
    »Wer das am schnellsten sagt, der bekommt ein T-Shirt mit dem Slogan ›Good, thanks!‹. Die Idee dahinter ist, dass niemand eine ehrliche Antwort will. Es soll immer an der Oberfläche bleiben.«
    So angedeutscht habe ich sie noch nie erlebt.
    »Aber was ist jetzt mit all deinen Vogelbildern?«, frage ich und lasse das Fenster etwas runter. Warme Sommerluft bläst ins Auto.
    »Hmm, mal sehen. Oder ein ›mood message shirt‹, mit einem Gesichtsausdruck? Hinten ist er immer gleich, wie ein Smiley, aber vorne sieht man den wahren Zustand.«
    Ich erzähle ihr von der Aktion ›Becoming German‹, bei der man seine Kindheitserinnerungen online spenden kann.
    »Hat sich eine Neuseeländerin ausgedacht, die in Köln lebt«, sage ich.
    Sie nickt. »Kenne ich.«
    Vielleicht braucht sie irgendwann eine Pressesprecherin? Ich sehe uns schon gemeinsam auf der Biennale. Später New York. Die Kraut-und-Kiwi-Schau.
    »Wie geht’s eigentlich Jonathan?«, will ich wissen. Claude war gerade wieder bei ihrem alten Busenfreund in Wellington, Konzerte und Galerien tanken.
    »Wusstest du, dass seine große Liebe vor fünf Jahren an einem Herzinfarkt gestorben ist?«, fragt sie zurück. »Mit 44.« Ich schüttele wortlos den Kopf und sehe den Juristen vor mir. Sein stilvolles Wohnzimmer mit der Wildledercouch. Der liebevoll zubereitete Whitebait-Salat.
    »Eigentlich fehlt ihm seitdem ein Platz auf dieser Welt. Er hat kein Zuhause, weil das Gefühl dafür mit seinem Freund für immer verschwunden ist.« Claude zieht ihre Motorradjacke fester um sich. »Heimatlosigkeit hängt nicht nur von Städten und Kontinenten ab, weißt du. Aber Jony hat gelernt, damit zu leben. Und das macht ihn so stark.« Sie legt ihre Hand auf meinen Arm. »Du kennst doch sicher diese Gedichtzeile von Thomas Brasch: ›Bleiben will ich, wo ich nie gewesen bin.‹«
    Ich nicke und schlucke etwas Klammes, Trauriges weg. Was ist schon mein dämliches Dilemma gegen Jonathans Einsamkeit? Ich habe einen Mann, den ich liebe, an meiner Seite und führe ein Leben, von dem ich früher geträumt habe. Aber damals wusste ich nicht, wie sich solch ein Leben manchmal anfühlt.
    Die Ampel springt auf Rot. Ich drehe mich zu Claude.
    »Und Tine in München, was macht die so? Skypt ihr oft?«
    Die Eisprinzessin schaut aus dem Fenster und wirkt abwesend.
    »Das war doch nur eine kurze Urlaubsliebe«, sagt sie. Es klingt, als ob sie lediglich einen Termin beim Zahnarzt abgesagt hat. »Aber ihr Videoprojekt ›AotearoHaHa‹ läuft, glaube ich, ganz gut.«
    Niedergeschlagen ist sie wirklich nicht. Ganz im Gegenteil. Ich parke vor der ›Costume Company‹. Eva wartet schon. Statt Filzponcho trägt sie heute Lederjacke.
    »Die machen gerade einen Resteverkauf«, sagt Eva. Sie wirkt hibbelig, irgendwie aufgedreht. Wahrscheinlich ein Rückfall in die Zeiten des Sommerschlussverkaufs bei H&M . Der Kostümverleih ist der größte Umschlagplatz der Stadt für Austin Powers, Spidermänner, Cruella De Vil, Frankenstein und Charleston-Tänzerinnen. Mehr als tausend Gewänder werden dort pro Woche ausgeliehen. Die junge Frau, die uns begrüßt, wischt mit einem Lappen auf einer Glitzerjacke herum.
    »Elvis ist voller Blut«, erklärt sie mit einem entschuldigenden Lächeln. »Der muss erst mal in die Reinigung.«
    Wir wühlen uns durch eine Kiste mit Hosen, die MC Hammer in seinen besten Zeiten gehören könnten. Die Kostümverleiherin hält ein paar Schuhe mit übergroßen Schnallen hoch.
    »Original Neunzigerjahre!«, preist sie die Treter an. »Läuft im Moment als Partymotto richtig gut.«
    Erschreckend. Wer stellt sich schon beim Kauf seines Hochzeitsanzugs oder Lieblingskleides vor, dass eines Tages Leute darin verkleidet auf ein Fest gehen, um brüllend komisch auszusehen? Alte Modeweisheit, frisch bestätigt: Alles kommt wieder, und zwar schneller, als man ahnt.
    Die Verkäuferin gibt auf alles zwanzig Prozent Rabatt. Eva kann sich trotzdem nicht für etwas
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