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Was scheren mich die Schafe: Unter Neuseeländern. Eine Verwandlung

Was scheren mich die Schafe: Unter Neuseeländern. Eine Verwandlung

Titel: Was scheren mich die Schafe: Unter Neuseeländern. Eine Verwandlung
Autoren: Anke Richter
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ich und nippe vom Bier. »Damit, wie die anderen Deutschen sind. Und wie wir deshalb von den Kiwis gesehen werden.«
    Hoffentlich kommen Haki nicht die Tränen. Ich weiß, er hat ein großes Herz. Garantiert spendet er für Amnesty International.
    Er hat den Bullshit-Detektor angeworfen und schaut mich prüfend an.
    »An jedem Tag in Aotearoa«, sagt er, »hast du etwas gelernt, auch wenn du es noch nicht weißt. Wir Maori haben damals von den Engländern Ackerbau und Schriftsprache gelernt. Ihr Pakeha wollt von uns Spiritualität und Einklang mit der Natur lernen. Du lernst von den Kiwis. Und glaube mir: Sie lernen auch von dir. Dabei entsteht nur Gutes. Der Samen ruht in der Mitte der Frucht.«
    Wieder so eine kryptische Antwort wie damals auf dem Marae. Und wieder rät er mir, endlich Frieden mit meiner Nationalität zu schließen. Kein Maori, kein Aborigine, kein Inuit würde mich wirklich akzeptieren, wenn ich nicht Zugang zu meinen Wurzeln gefunden hätte und aufhörte, mich zu schämen. Um meinen Herkunftsknacks zu kurieren, so mein Eingeborenentherapeut, hätte ich nur eine Wahl.
    »Du musst wieder unter Deutsche. Und zwar richtig. Mit Haut und Haaren, nicht nur am Rand stehen und dich distanzieren.«
    Die Audienz ist beendet. Haki schiebt die linke Manschette hoch und schaut auf seine Uhr. Der Mann, der ein Kanu nachts allein nach dem Stand der Sterne über den Südpazifik navigieren kann, trägt einen dicken Blender am Handgelenk.
    »Weihnachtsgeschenk von CellTel«, sagt er, als ob er meine Gedanken erraten hat. Als wir aus der Bar Benito treten, rezitiert Haki eine letzte Weisheit.
    »›Gut ist, wer die Heimat liebt. Besser ist, wer in jedem Land Heimat findet. Am besten ist, wem jeder Ort fremd geworden ist.‹«
    Ich versuche, mir den Spruch zu merken. Wer hilft, hat recht.
    »Ein Sprichwort von deinem Stamm?«
    Er schüttelt den Kopf, grinst entschuldigend und zeigt zurück Richtung Tür.
    »Von einem unbekannten Sufi. Stand unter Benitos Lebenslauf.«
                
    Am Wochenende will ich zwanzig Immergrüngewächse am Zaun entlang einpflanzen. Seit Tagen stehen sie in Kartons vor der Garage. So viel habe ich als politisch korrekte Neukiwianerin gelernt, dass ich Flora und Fauna nicht mit Rosenbüschen und Ahornbäumen verpeste, sondern einheimische Pittosporums kaufe. Bevor ich den ersten Spatenstich machen kann, erwischt mich die Schweinegrippe. Lukas ist gerade zu einem Urologenkongress in die USA abgeflogen. Claude, die sich sonst mehr für Keas als für Kinder interessiert, nimmt Otto und Jakob übers Wochenende zu sich, weil Eva Sorge hat, dass ihre Kleine sich anstecken könnte. Dann bin ich allein mit den stärksten Kopfschmerzen meines Lebens und einem Körper, den ich am liebsten begraben will. Es ist ein rasanter Absturz. Innerhalb von Stunden bin ich ein fiebriges Häuflein Elend, hustend, heulend und hilflos. Warum geht es mir so schlecht? Warum ist meine Mutter nicht da? Warum bin ich nicht zu Hause? Ich bewege mich nicht mehr. Im Dämmerlicht sehe ich Jesus draußen vor dem Fenster durch unseren Garten laufen. Das ist bedenklich für eine Nichtchristin. Als ich schweißnass aufwache, sitzt jemand an meinem Bett. Nicht der Heilige Geist, sondern Nachbarin Judy. Sie reicht mir ein Glas Wasser und zwei Tabletten.
    »Paracetamol«, sagt sie. »Komm, nimm das.«
    »Aber ist doch nicht homöopathisch«, murmele ich mit belegter Zunge. Ich kann den Kopf kaum heben. Sie lächelt mich mit dem gleichen Blick an, mit dem sie manchmal in den Wiegenkorb schaut. Ich fühle mich wie ein Baby.
    »Schhh«, sagt sie. »Ruh dich weiter aus. Ich habe dir eine Hühnersuppe gemacht.«
    »Was, mit Fleisch?«
    Vielleicht habe ich doch Halluzinationen. Judy legt mir einen Waschlappen auf die Stirn. Ich sacke zurück ins Kissen und schließe die Augen. Drei Stunden später stehe ich auf und schleppe mich in die Küche. Meine ersten Bewegungen sind mühsam, aber machen mir Hoffnung. Auf dem Herd stehen ein Topf Suppe und ein Gemüseauflauf. Daneben liegt ein Zettel: ›Bin nebenan. Melde dich jederzeit. Love, Judy & whanau xxx‹.
    Als ich nach zwei Tagen zum ersten Mal kurz vor die Tür trete, sind die Pittosporums vor der Garage verschwunden. Dafür liegen dort noch Nicks Spaten und ein halb leerer Sack Torf. Die Immergrünbüsche stecken in einer strammen Reihe in der Erde vor dem Zaun. Ich werde sie schön kurz halten, damit der Blick zur Nachbarveranda immer frei bleibt. Am besten akkurater
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