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Was mit Rose geschah

Was mit Rose geschah

Titel: Was mit Rose geschah
Autoren: Stef Penney
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manchmal treibe ich sie auch in den Wahnsinn, aber meistens kommen wir ganz gut klar.
    Mama arbeitet als Ausfahrerin, wenn wir irgendwo länger bleiben. Sie hat ein Händchen dafür, überall Arbeit zu finden. Sie arbeitet hart und kümmert sich außerdem noch um meinen Großonkel, der im Rollstuhl sitzt. Das machen wir alle – Mama und ich, Großmutter und Großvater und mein Onkel. Das sind die Leute, mit denen wir fahren. Großmutter und Großvater haben zwei Wohnwagen – beide Vickers und beide richtig schick mit Chromverzierungen und Fenstern aus geschliffenem Glas. Sie wohnen und schlafen in dem größeren, neueren, und in dem anderen kocht und spült Großmutter. Außerdem nutzen sie ihn als Gästezimmer. Großonkel hat einen Westmorland Star, der speziell für ihn umgebaut wurde. Er hat darin mit Großtante Marta gewohnt, als sie noch lebte. Er hat eine Rampe, damit er allein rein- und rausfahren kann, und auch etwas, das die meisten Leute ein bisschen ekelhaft finden würden: eine chemische Innentoilette. Die braucht er; sonst wäre es für ihn zu schwierig. Die Krankenschwestern haben gesagt, entweder das oder ein Bungalow. Also das.
    Der letzte Wohnwagen ist ein Jubilee, in dem mein Onkel und sein Sohn wohnen. Mein Onkel ist Großonkels Sohn – er heißt Ivo und Ivos Sohn wiederum, mein Cousin, heißt Christo und ist sechs. Ivos Frau ist weg – vor langer Zeit davongelaufen. Großmutter heißt Kath, das ist die Abkürzung von Katarina, und Großvaters Name ist Jimmy.
    Ihnen sind vielleicht ein paar ausländisch klingende Namen aufgefallen, obwohl Großonkel den seltsamsten Namen hat – er heißt Tene. Er und Kath sind Geschwister. Die Jankos sind im letzten Jahrhundert vom Balkan gekommen, bevor die Länder dort richtige Namen und Grenzen hatten. Großonkel sagt einfachnur Balkan. Er und Großmutter behaupten, wir seien machwaya , die Aristokraten unter den Roma, und könnten auf die Lees und Ingrams und Woods hinabschauen. Wer weiß, ob das stimmt. In meiner Schule hat niemand eine Ahnung vom Balkan. Ich bin der Einzige.
    Der Wohnwagen Nummer eins von Großmutter und Großvater ist der größte und schönste – jedenfalls der schickste –, und der von Ivo ist am kleinsten und am wenigsten schick. Er hat am wenigsten Geld, aber das kommt, weil Christo behindert ist und Ivo sich um ihn kümmern muss. Alle helfen mit Geld und anderen Sachen. So ist das eben. Wenn ich sage, er ist behindert, ist das ganz anders als bei Großonkel: Es kommt daher, dass Christo krank ist. Er hat die Familienkrankheit. Ich habe Glück, dass ich sie nicht habe, obwohl ich ein Junge bin, meistens bekommen nämlich nur Jungs die Krankheit. Die Jungs vererben sie aber nicht weiter, weil sie nicht lange genug leben, wenn sie sie haben. Die einzige Ausnahme ist Onkel Ivo, der sie hatte, als er noch jünger war, aber gesund geworden ist. Niemand weiß, warum. Er ist nach Lourdes gefahren, und danach ging’s ihm besser. Es war ein Wunder.
    Ich persönlich bin nicht religiös, aber man kann in der Hinsicht nichts ausschließen. Seht euch Ivo an. Offiziell sind wir Katholiken, obwohl außer Großmutter keiner regelmäßig in die Kirche geht. Mama geht ab und zu, Großvater auch. Manchmal werden sie in der Kirche beschimpft, obwohl die Leute da eigentlich voller christlicher Güte und Nächstenliebe sein sollten, und Großvater sagt, dass er in einer Kirche sogar mal bespuckt wurde. Das finde ich schrecklich. Großmutter sagt, sie hätten nicht auf ihn, sondern in seine Nähe gespuckt, aber das ist immer noch sehr unhöflich. Zuletzt war ich vor ein paar Wochen mit Mama und Großmutter in der Kirche, an Ostern. Wir haben uns alle schick angezogen, aber ein paar Leute haben uns erkannt, und es gab Getuschel und Herumgerutsche, weil keiner neben uns sitzen wollte. Ich habe Helen Davies gesehen,ein Mädchen aus meiner Klasse, die mit ihrer Familie da war, und sie hat mich angestarrt und mit ihrer Mum geflüstert, und dann haben uns alle angestarrt. Nicht alle Leute waren so, aber die anderen wussten auch nicht, wer wir sind. Ich habe in der Bank gesessen und war richtig verkrampft, weil ich mir vorgestellt habe, was ich tun würde, wenn mich jemand anspuckt. Ich hatte die Fäuste geballt und die Zähne aufeinandergebissen, bis sie wehtaten. Die Haare in meinem Nacken haben sich gesträubt – ich habe nur gewartet, dass Spucke auf meinem Kopf landet. Ich habe mir vorgestellt, wie ich mich umdrehe und dem miesen gorjio eine verpasse,
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