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Was mit Rose geschah

Was mit Rose geschah

Titel: Was mit Rose geschah
Autoren: Stef Penney
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weggelaufen?«
    »Ihr Mann sagt das und sein Vater. Sie sagen, sie sei mit einem gorjio durchgebrannt. Aber ich hatte damals schon so einen Verdacht und jetzt erst recht.«
    »Welchen Verdacht?«
    »Na ja …« Leon Wood wirft einen Blick über die Schulter, als könnte man uns belauschen, und dann rückt er, obwohl wir allein sind und das Büro geschlossen hat, noch näher heran. »… dass sie sie erledigt haben.«
    Er sieht nicht aus, als machte er Witze.
    »Sie glauben, dass ihr Ehemann sie vor sieben Jahren erledigt hat?«
    Leon Wood schaut an die Decke. »Na ja, eher sechs, glaube ich. Nachdem sie den Kleinen bekommen hat. Vielleicht sechseinhalb.«
    »Verstehe. Sie vermuten, man habe Ihre Tochter vor sechs Jahren ermordet – und haben bislang mit niemandem darüber gesprochen?«
    Leon Wood spreizt die Finger und sieht mich achselzuckend an.
    Ich denke nicht oft an meine – ja, was? Herkunft? Kultur? oder wie auch immer die Soziologen heute dazu sagen mögen. An die Tatsache, dass mein Vater während des Ersten Weltkriegs auf einem Feld in Kent geboren wurde, während seine Eltern Hopfen pflückten. Seine Eltern lebten auf der Straße; sie reisten und arbeiteten mit seinen Brüdern im Südosten. Mein einziger noch lebender Onkel wohnt heute auf einem festen Stellplatz nahe der Südküste, aber auch nur, weil sich sein Gesundheitszustand verschlechterte und das Leben auf der Straße zu anstrengend wurde. Doch nach dem Zweiten Weltkrieg, in dem mein Vater eine gorjio namens Dorothy kennenlernte, in Italien Krankenwagen fuhr, interniert wurde und lesen lernte, distanzierte er sich bewusst von seiner Familie, und wir haben sie kaum noch gesehen. Mein Bruder und ich wuchsen in einem Haus auf und gingen zur Schule. Wir waren keine Fahrenden. Unsere Mutter, Dorothy, war ein energisches Mädchen vom Land, aus Tonbridge, die ein Leben auf der Straße niemals romantisch gefunden hätte. Sie war eine fanatische Verfechterin einer guten Allgemeinbildung – und mein Vater ein mürrischer, humorloser Autodidakt. Er ging sogar so weit – in den Augen unserer Verwandten viel zu weit –, Briefträger zu werden.
    Trotzdem wussten wir bestimmte Dinge. Ich (vor allem ich, der Dunkle) wusste, was es hieß, dreckiger Zigeuner genannt zu werden. Ich weiß auch von den langen, kleinlichen Streitereien über Stellplätze und den Zwangsräumungen und Petitionen und dem Zank um die Schulpflicht. Ich weiß von dem gegenseitigen Misstrauen, das Leon daran hinderte, sich wegen seiner Tochter an die Polizei zu wenden – oder einen anderen Privatdetektiv. Ich habe eine Ahnung, warum er zu mir gekommen ist, und begreife, dass er sehr verzweifelt sein muss.

3
    JJ
    Ich nehme an, meine Familie ist irgendwie anders. Wir sind nämlich Gypsies oder Roma oder was auch immer. Wir heißen Janko. Unsere Vorfahren kamen aus Osteuropa, obwohl meine Familie schon lange hier lebt, aber meine Großmutter hat meinen Großvater geheiratet, der ein englischer Gypsy ist, also ist meine Mama halb Roma und halb Gypsy, und dann ist sie mit meinem Vater durchgebrannt, der angeblich ein gorjio war. Ich bin ihm nie begegnet, also weiß ich es nicht so genau. Sie haben nicht geheiratet, daher heiße ich Smith, genau wie sie und Großvater und Großmutter. JJ Smith. Mama hat mich nach ihrem Vater Jimmy genannt, aber ich mag es nicht, wenn sie Jimmy sagt, also nennt sie mich jetzt JJ. Ehrlich gesagt wäre ich lieber nicht nach meinem Großvater benannt, sondern nach jemand anderem – zum Beispiel James Hunt. Oder James Brown. Aber das wäre dann nicht die Wahrheit.
    Auf unserem Platz stehen fünf Wohnwagen. Zuerst mal unserer – in dem wohnen Mama und ich. Mama heißt Sandra Smith. Sie ist ziemlich jung – sie war siebzehn, als sie in Schwierigkeiten geriet und mich bekam. Ihre Eltern waren total sauer und warfen Mama raus, und sie musste danach in Basingstoke wohnen, aber nach ein paar Jahren haben Großvater und Großmutter nachgegeben und sie wieder mitfahren lassen. Im Grunde mussten sie das, weil sie ihr einziges Kind ist, das ist ziemlich ungewöhnlich. Und ich bin ihr einziger Enkel. Unser Wohnwagen ist ein Lunedale – er ist nicht sonderlich groß oder neu, aber er hat Wände mit Eichenfurnier und sieht schön altmodisch aus. Er istnicht schick, aber ich mag ihn. Vermutlich, weil wir nur zu zweit sind, sind wir ziemlich gute Freunde. Ich finde, im Großen und Ganzen ist sie eine echt gute Mama. Nur manchmal treibt sie mich in den Wahnsinn und, na ja,
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