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Was mit Rose geschah

Was mit Rose geschah

Titel: Was mit Rose geschah
Autoren: Stef Penney
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mir erzählt, dass er vor einigen Monaten einen Schlaganfall erlitten hat, hervorgerufen durch den Alkoholismus. Deshalb ist er aber nicht im Krankenhaus. Er hatte sich einen schweren Sonnenbrand an den Füßen geholt, weil er seit dem Schlaganfall keinen Schmerz mehr spürte und erst bemerkte, dass etwas nicht stimmte, als die Wunden brandig wurden und zu riechen begannen. Jetzt ist die Rede davon, Stücke aus ihm herauszuschneiden. Er nimmt es bemerkenswert gelassen. Wir kommen gut miteinander aus, außer wenn er mitten in der Nacht auf Französisch loslegt. So wie letzte Nacht – da riss er mich mit einem schrillen Schrei aus meiner schlaflosen Trance und brüllte: » Tirez! « Dann schrie er wieder los, so wie sie es in Kriegsfilmen tun, wenn sie einen Strohsack in Uniform mit dem Bajonett durchbohren. Ich überlegte, ob ich schon mal langsam die Flucht ergreifen sollte, für den Fall, dass er seine Albträume ausleben wollte – in meinem augenblicklichen Zustand würde ich geschlagene fünf Minuten bis zur Tür brauchen.
    Er redet nicht gern über seine Zeit in der Legion, findet es aber faszinierend, dass ich Privatdetektiv bin. Er bittet mich um Geschichten (»Hey, Ray … Ray … bist du wach? Ray …«). Ich bin immer wach. Ich murmele monoton einige Geschichten vor mich hin, die mit der Zeit besser werden. Ich fürchte schon, er könnte mich nach einem Job fragen, gelange aber zu dem Schluss, dass er über dieses Stadium hinaus ist. Er fragt, ob die Arbeit gefährlich sei.
    Ich überlege kurz und sage dann: »Normalerweise nicht.«

2
    Ray
    Es beginnt im Mai – einem Monat, in dem jeder, sogar ein Privatdetektiv, glücklich und optimistisch sein sollte. Die Fehler des vergangenen Jahres sind ausgebügelt, und alles hat von neuem begonnen. Blätter entfalten sich, Küken schlüpfen, Menschen hoffen. Alles ist grün und wächst.
    Wir aber – Lovell Price Investigations – sind pleite. Der einzige Fall der letzten zwei Wochen war eine Ehegeschichte – die des armen Mr M. Er rief an, und nach langem Hin und Her verabredeten wir uns in einem Café, weil es ihm zu peinlich war, ins Büro zu kommen. Er war Geschäftsmann, Ende vierzig, und leitete eine kleine Büromöbelfirma. So etwas wie das hier habe er noch nie gemacht – das betonte er während unseres ersten Gesprächs mindestens achtmal. Ich versicherte ihm, dass seine Vorbehalte angesichts der Umstände vollkommen normal seien, doch er zappelte weiter herum und schaute dauernd über die Schulter, während wir uns unterhielten. Er gab zu, dass er allein wegen dieses Gesprächs schon ein schlechtes Gewissen habe – als hätte er, indem er sich einem Profi anvertraute, eine ätzende Säure vergossen, die sich nicht mehr beseitigen ließ. Ich wies ihn darauf hin, dass sein Verdacht nicht schlimmer werde, nur weil er mir davon erzählte; außerdem hatte er triftige Gründe, seine Frau der Untreue zu verdächtigen: Zerstreutheit, ungewöhnliche Abwesenheiten, neue, erotischere Kleidung, die Neigung zu Überstunden … Eigentlich brauchte ich gar keine Beweise zu sammeln. Ich hätte gleich sagen können, ja, Ihre Frau hat eine Affäre – stellen Sie sie zur Rede, dann wird sie vermutlicherleichtert sein und alles zugeben. Und Sie sparen eine Menge Geld. Das sagte ich aber nicht. Ich nahm den Auftrag an und beschattete die Frau, die einen kleinen Nippesladen an der High Street besaß, einige Abende lang.
    Am Tag, nachdem ich mich mit Mr M. getroffen hatte, rief er mich an. Sie habe soeben Bescheid gesagt, dass sie nach der Arbeit Inventur machen müsse. Ich parkte auf der Straße, um den Laden zu beobachten, und folgte ihr nach Clapham. Dort betrat sie ein Haus in einer guten Wohngegend, die bei Familien beliebt ist. Ich wusste nicht, was in den zwei Stunden und zwanzig Minuten vorging, die sie dort verbrachte, doch der Mann, den ich am nächsten Tag fotografierte, als er mit ihr in einer Bar Händchen hielt, war ganz sicher nicht die Freundin, mit der sie sich angeblich verabredet hatte. Ich rief Mr M. an und sagte, ich hätte etwas mit ihm zu besprechen. Wir trafen uns im selben Café wie zuvor. Ich musste gar nicht erst loslegen; er wusste, worum es ging, und fing an zu weinen. Ich zeigte ihm die Fotos, erklärte, wo und wann ich sie aufgenommen hatte, und sah ihm beim Weinen zu. Ich schlug vor, er solle in aller Ruhe mit seiner Frau sprechen, doch Mr M. schüttelte nachdrücklich den Kopf.
    »Wenn ich ihr die zeige, wird sie mir vorwerfen, ich hätte
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