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Was mit dem weißen Wilden geschah - Roman

Was mit dem weißen Wilden geschah - Roman

Titel: Was mit dem weißen Wilden geschah - Roman
Autoren: C.H.Beck
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In den unendlichen amerikanischen Weiten wie in Patagonien wurden Weiße entführt und lebten fortan bei Stämmen. Einige sehr kleine Kinder wurden durch und durch Indianer und verloren jede Erinnerung an das Leben mit ihren Eltern. Andere haben während ihrer leidvollen Gefangenschaft die Erinnerung an unsere Zivilisation bis zum inständig ersehnten Tag ihrer Befreiung in sich verwahrt.
    Niemand hat wie Narcisse Pelletier die Reise von der einen Welt in die andere zweimal hinter sich gebracht.
    Ich habe viel beobachtet und wahrscheinlich nichts dabei begriffen. Dieses Rätsel bleibt so hermetisch wie am allerersten Tag. Was in Sydney seinen Anfang genommen hat, ist vor Kurzem hier in La Rochelle zu Ende gegangen. Hätte ich dort wie hier andere Worte findenmüssen? Und was hatten meine Worte angesichts des beharrlichen Schweigens von Narcisse für ein Gewicht?
    Ich schulde Ihnen zum Abschluss die Schilderung unserer letzten Begegnung.
    Der zusammenfassende Bericht von Monsieur Wilton-Smith über die vier Expeditionen in Australien mit dem Ziel, Charles und Eugénie zu finden – den Archiven unserer Gelehrtengesellschaft habe ich eine Kopie dieses Berichts zukommen lassen –, regte mich zu dem Gedanken an, diesen mit den Erinnerungen des Hauptbetroffenen abzugleichen.
    Um mir die Beschwerlichkeiten der Winterstürme an der Landspitze von Ré zu ersparen, hatte der leitende Ingenieur die Güte, seinen Lagerverwalter dritten Grades nach La Rochelle zu bestellen. Er wurde im Gebäude für die Seeleute untergebracht und erschien wie vereinbart in meinem Hotel. Ich zeigte ihm die Karten und Beschreibungen, ich erzählte ihm die Anekdoten der an den Nachforschungen Beteiligten. Würden ihn die Schilderungen der Landschaft, der Mangrovenwälder, der Sanddünen, der kleinen Inseln vor der Küste und der riesigen, eintönigen Buschebenen zum Reden bringen? Würden die Berichte über Begegnungen mit den Wilden, deren Lagerplätze und einige Unterredungen mit ihnen irgendeine Reaktion in ihm hervorrufen? Leider nein. Er hörte mir höflich zu, gab keine Antwort, und darüber war ich, ich muss es gestehen, nicht sehr überrascht.
    Das Schweigen von Narcisse Pelletier zu allem, was er in Australien erlebt hat, blieb bei diesem Besuch ebenso ungebrochen und beharrlich wie an jenem Tag, als wir uns 1861 in Sydney zum ersten Mal begegneten.
    Am folgenden Tag bestellte ich ihn wieder zu mir. Ich hatte meine Hefte aus Australien bei mir und versuchte es mit einem anderen Ansatz. Ich erzählte ihm seine eigene Geschichte.
    «Du warst im Garten des Gouverneurs, mit einem Lendentuch bekleidet und von zwei Soldaten bewacht. Es kam eine Gruppe von Herren, um dich zu beobachten und dich in verschiedenen Sprachen anzusprechen …»
    Diese Schilderung, die ich Ihnen damals in allen Einzelheiten weitergab, verdutzte ihn. Er hörte mir mit unbeschreiblicher, ja, fast erschreckender Aufmerksamkeit zu, rührte sich nicht, und auf seiner Stirn perlte der Schweiß. Ich beendete den Bericht über diesen ersten Tag und fuhr dann fort:
    «Davor. Du warst auf der John Bell, völlig verstört, und hast dich zehn Tage lang an der Reeling zusammengekauert und alle Nahrung verweigert …»
    Ich dankte in Gedanken jenem böswilligen Kapitän Rowland, der mir durch seinen Bericht im Gouverneursbüro von New South Wales erlaubte, ihm von dieser allerersten Überfahrt zu erzählen.
    «Noch weiter davor. Du saßt in einem Boot. Das fuhr bis zum Schiff, und dort bist du an einer Strickleiter hinaufgeklettert …»
    Narcisse hatte zu weinen begonnen und sah mich flehentlich an. Ich machte unbarmherzig weiter.
    «Davor. Du warst damit beschäftigt, am Strand mit deinem Stamm Muscheln zu sammeln, es war ein Tag wie jeder andere. Deine Kinder waren bei dir. Du hast gesehen, wie das Beiboot der John Bell in die Bucht einfuhr. Die Seeleute sind auf euch zugekommen, und ihr hattet keine Angst …»
    Narcisse war völlig am Boden zerstört und verwirrt. Man musste ein Herz aus Stein haben, um nicht von seinen Tränen und seinem Leid gerührt zu werden. Ich hatte dieses steinerne Herz.
    «Und davor, Narcisse?»
    Meine Frage wühlte ihn sichtlich auf. Was ging in seinem Kopf vor? Er versuchte nicht, das Zimmer zu verlassen, aber er flehte mich schweigend an, diese Folter zu beenden. Ich drang dennoch weiter in ihn ein. Später würde immer noch Gelegenheit zu Trost sein.
    «Und davor, Narcisse? … Was war da los?»
    Narcisse war blass geworden und knetete seine
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