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Kameraden: Die Wehrmacht von innen (German Edition)

Kameraden: Die Wehrmacht von innen (German Edition)

Titel: Kameraden: Die Wehrmacht von innen (German Edition)
Autoren: Felix Römer
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VORWORT
    Wer waren die vielen Millionen Männer, die als Soldaten der Wehrmacht und Waffen-SS Hitlers unseligen Krieg um Weltmacht und Lebensraum führten? Sie kamen aus der »arischen« Mehrheitsgesellschaft der NS-Diktatur, aus allen Schichten, Regionen und Konfessionen. Jene, die überlebten, prägten anschließend die Nachkriegszeit als Unternehmer und Arbeiter, Beamte und Angestellte, Politiker und sogar wieder als Soldaten.
    Vor allem aber gehörten sie zu unseren Familien, waren sie unsere Väter, Großväter und Urgroßväter oder deren Brüder und Schwäger. Manche von ihnen leben noch, aber ihre Zahl nimmt Jahr für Jahr ab, und bald wird es nicht mehr möglich sein, sie persönlich zu befragen, ihnen zuzuhören oder auf ihr Schweigen zu stoßen. Noch trägt nahezu jeder nichtjüdische Deutsche und Österreicher ein Stück Erinnerung an die Soldatengeschichten im Zweiten Weltkrieg in sich, genährt durch die mündliche Überlieferung der Beteiligten oder ihrer nächsten Nachfahren. Für die Soziologen ist dieses »kommunikative« Gedächtnis – neben dem »kulturellen«, durch Bücher, Fernsehsendungen und Museen bewahrten – ein wichtiger Bestandteil unserer kollektiven Erinnerung an den Krieg.
    Doch was wissen wir von unseren Angehörigen, die mit der Waffe in der Hand für eine ungerechte, ja verbrecherische Sache kämpften? Was ist uns bekannt von ihrem Verhalten, von ihrem Denken und Fühlen im Krieg? Die Suche nach den Verwandten ist immer auch eine Suche nach uns selbst, ein Ausloten von Grenzen, Identitäten und Ambivalenzen. Neben Neugierde gehört auch Mut dazu, sich mit der Vergangenheit zu beschäftigen, zumal sie schmerzhaft sein kann: der geliebte Vater, Großvater …
    Die Wegweiser und Markierungssteine dieser Suche sind verwittert und unzuverlässig. Oft sind alte Briefe und Fotos überliefert, die kaum zu dechiffrieren sind. Häufig aber bleiben nur die Nachkriegserzählungen, die wir verstehen, denen wir aber nicht trauen und nicht trauen können. Bis tief in die Enkelgeneration hinein sind sie noch präsent, die Geschichten vom Soldatsein. In ihnen ging es kaum um Kampf, Tod und Verbrechen, sondern in der Regel um gute Kameraden und kleine Abenteuer. Das Beschwiegene und Ausgeblendete war offensichtlich, aber nicht sichtbar. Die Ahnung, dass da noch viel mehr im doppelten Wortsinn Belastendes war, blieb allgegenwärtig und wurde bestärkt durch die seltenen Momente, in denen das selektive Erzählmuster durchbrochen wurde, in denen unterdrückte Segmente der Erinnerung, meist nur kurz und schnell wieder kontrolliert, an die Oberfläche drangen und sich in Worten und Emotionen äußerten.
    Welches Kind, welcher Enkel wagte zu insistieren und zu fragen: Was hast du selbst Schreckliches erlebt – und angerichtet? Warst auch du ein Nazi? Der Umweg über das öffentliche Geschichtsbewusstsein vom Krieg der Wehrmacht war lange Zeit wenig hilfreich. Das kollektive Gewissen der Aufbaugeneration sollte nicht durch das Bohren in den offenen Wunden eines verbrecherischen Krieges beunruhigt werden. Die Strafverfolgung sowie die wissenschaftliche und moralische Aufarbeitung konzentrierten sich auf die Haupttäter und dabei vor allem auf die engsten Gefolgsleute Hitlers aus Partei und SS, während die kompromittierten Vertreter der alten Eliten – Offiziere, Diplomaten, Ministerialbeamte, Juristen, Wissenschaftler, Unternehmer – bald nach den Nürnberger Prozessen wieder in Ruhe gelassen und gesellschaftlich rehabilitiert wurden. Die meisten Täter und Helfer der NS-Diktatur blieben unbehelligt. Für die riesige Mehrheit etablierte sich ein Opfernarrativ, gefördert durch zahlreiche Artikel und Filme, Reden und Romane: Ein Teufel namens Hitler habe mit seiner kleinen verbrecherischen Clique »die« Deutschen verführt und ins Unglück getrieben. Sinnbild dafür war das »heroische« Leiden und Sterben der von bösen Mächten erst in den Krieg gehetzten und dann im Stich gelassenen Landser. Dass deutsche Soldaten nicht nur Opfer, sondern auch Täter waren, wurde in dieser dominierenden Nachkriegserzählung ausgelassen.
    Die deutsche Geschichtswissenschaft hielt sich bei den Protagonisten der NS-Unrechtspolitik vornehm zurück und schenkte nachgeordneten Akteuren wie den einfachen Soldaten keine Beachtung. Seit den 1960er-Jahren wurden die kritischen Fragen nach deutschen Massenverbrechen und individuellen Verantwortungen lauter, doch die Historiker beschäftigten sich unter dem Einfluss der
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