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Was ist mit unseren Jungs los

Was ist mit unseren Jungs los

Titel: Was ist mit unseren Jungs los
Autoren: Allan Guggenbuehl
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Gewaltpräventionsprogramme, die vor allem bei den persönlichen Kompetenzen ansetzen, greifen darum ins Leere. Um Gewalt zu verhindern, müssen wir darum als Erstes ein psychologisch stimmiges Bild von uns entwerfen: Wir können uns zwar nicht trauen, doch verfügen wir auch über Kräfte und Fähigkeiten, Gewalt zu verhindern.
    Das Problem vieler junger Menschen ist, dass sie noch nicht in die Gesellschaft eingebunden sind. Vor allem haben sie die Codes des öffentlichen oder halböffentlichen Raums nicht internalisiert. Sie haben sich nicht zu einem Komplex in ihrem Unbewussten entwickelt. Oft haben sie sich lediglich in die eigene Familie und ihre Gleichaltrigengruppe hinein sozialisiert, zur Außenwelt haben sie noch keinen Bezug. Sie nehmen darum öffentliche, wie auch halböffentliche Räume anders wahr als integrierte oder assimilierte Menschen. Sie glauben sich in einem Freiraum zu bewegen, in dem man tun und lassen kann, was man will. Man kann dort raufen, saufen oder sprayen. Sie werden zu Projektionsflächen für eigene Stadtmythen oder die Gangsta-Kultur. Aus psychologischer Sicht handelt es sich um Wüsten , die nur in ihrer Funktion wahrgenommen werden. Eine Straßenbahn ist nicht ein emotional besetztes Identifikationsobjekt, sondern ein Fahrzeug, mit dem man gratis fahren kann, wenn man schlau genug ist. Eine Straße ist nicht ein Teil der Stadt, in der man lebt und die man liebt, sondern eine Möglichkeit, von A nach B zu kommen. Der öffentliche Raum wird funktionell, rationalistischinterpretiert und nicht zu einem Seelenraum. Wenn junge Menschen nicht in die Psychologie dieser öffentlichen Räume eingeführt wurden, dann wirken auch die Sanktionen nicht. Man schämt sich nicht, wenn man eine Bierflasche auf der Straße zerschlägt, reagiert nicht auf die ermahnenden Blicke von Passanten, wenn man an eine Wand uriniert oder glaubt auf Provokationen mit der Faust reagieren zu müssen. Polizeistrafen werden mit einem Achselzucken quittiert.
    Eine solche emotionale Beziehungslosigkeit zu öffentlichen und halbprivaten Räumen kann nicht durch staatliche Instanzen kompensiert werden. Es kann nicht an jeder Straßenecke ein Polizist stehen und für jedes Fehlverhalten eine Strafe aussprechen. Greifen internalisierte Sanktionsmaßnahmen nicht, dann hat die Gesellschaft ein Problem. Haben junge Menschen keine Beziehung zu öffentlichen Räumen, dann werden sie zu Zonen, in denen man dunklen Fantasien nachgehen, persönliche Markierungen vornehmen und sich als Gangsta inszenieren kann. Rohheit und Freude an der Gewalt darf ausgelebt werden. Aus der Sicht dieser Jugendlichen herrscht dort ein Machtvakuum.
    Ziel muss sein, Jugendlichen dabei zu helfen, mit öffentlichen und halböffentlichen Räumen in Beziehung zu treten. Dies ist vor allem ein emotionaler Prozess. Sind ihnen die Geschichte, die Probleme und die Qualitäten dieser Räume vertraut, dann steigen die Chancen, dass sie öffentliche Räume respektieren und die entsprechenden Codes einhalten. Dieser Anbindungsprozess geschieht jedoch nicht automatisch, sondern dank der Arbeit Erwachsener, die bereit sind sie einzuführen. Er beginnt in der Kindheit und sollte Teil der Erziehung sein. Schulen haben die Aufgabe, Kinder auch in die Psychologie und Geschichte ihrer Umgebung einzuführen und sollten sich nicht allein auf innerschulische Lernprozesse konzentrieren. Das Münster in der Stadt ist dann nicht bloß irgendeine Kirche, oder ein zentraler Platz, nur ein Verkehrsknotenpunkt,sondern Gebäude, Plätze drücken Haltungen, Werte aus und sind Resultate von Anstrengungen der Mitmenschen. Sie werden zu Symbolen. Um eine Beziehung zu öffentlichen Räumen zu entwickeln, müssen Jugendliche schon im Kindesalter erfahren, wer zuständig ist. Vielleicht hilft es, wenn sie als Kinder mithelfen, während der Nacht eine Straße zu reinigen oder durch eine Kanalisation zu kriechen, damit sie wissen, wo unser Abwasser hingeht. Nur über persönliche, direkte Erfahrungen nimmt man eine Beziehung zu einem Stadtteil oder Dorf auf. Zum Anbindungsakt gehört die Kenntnis der Geschichte der öffentlichen und halböffentlichen Räume. Vor allem Jugendliche aus anderen Kulturen wollen die Geschichten hören, die unsere Räume auszeichnen. Auf diese Weise wird der Raum persönlich signifikant. Wenn sie keinen Bezug haben, dann beginnen sie sich den Raum autonom anzueignen. Da es sich aus ihrer Sicht um Niemandsland handelt, kann man »die Sau« rauslassen,
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